Historical Platin Band 04
anderen Wachen nicht sogleich hinzugekommen, hätte er es gewiss geschafft, den Wart zu überwältigen und ihm die Waffen abzunehmen. Gewiss, es war ein tollkühner Plan gewesen, ungesehen aus der Veste zu gelangen. Das Risiko, dass er unbemerkt geblieben wäre, war sehr groß gewesen. Aber Richard hatte gehofft, den Wächter mundtot machen, ihn in das Verlies stürzen und die Steinplatte in das Bodenloch schieben zu können, ehe jemand sich im Gewölbe des Verlieses einfand. Er hatte darauf gebaut, dass es ihm gelingen möge, die Stricke an sich zu bringen und sich anschließend an einem sicheren Ort zu verbergen, bis die Nacht angebrochen war, um dann in der Dunkelheit heimlich die Stiege zu einem der Wachtürme zu erklimmen, den Wächter außer Gefecht zu setzen und sich in die Freiheit abzuseilen.
Hämisch grinsend warf Lambert den Kanten harten Brotes dem Gefangenen vor die Füße und schloss das Angstloch.
Richard streckte sich wieder auf der modrigen Spreu aus, die das aus dem gewachsenen Fels geschlagene Lager bedeckte, rümpfte ob des unerträglichen Gestanks die Nase und starrte im Finstern zur Decke des Kerkers. Inzwischen bedauerte er, dass er immer wieder versucht hatte, aus der Veste zu entkommen. Nach der Festnahme war er, wie es ihm seinem Rang gemäß zustand, in einer Kammer untergebracht worden und hatte die Möglichkeit gehabt, sich frei zu bewegen. Von Anfang an darauf bedacht, sich zur Freiheit zu verhelfen, hatte er zwei Versuche unternommen, einen der Türmer in seine Gewalt zu bringen, um sich den Weg freipressen zu können. Jedes Mal war sein Plan gescheitert, und der Burgvogt hatte verfügt, ihn in das unterirdische Verlies zu sperren.
Er haderte mit sich, weil er sich nicht hatte bezähmen können, denn nun war an eine Flucht kaum noch zu denken. Hätte er besonnener gehandelt und es geschafft, einen der in der zweiten Etage des Turmes tätigen Kanzleischreiber, vielleicht sogar den Sire de Graindorge, wenn dieser zufällig in der Nähe war, zu überwältigen, wäre es ihm bestimmt gelungen, mit seiner Geisel die Burg zu verlassen.
Unerklärlich fand er, warum ihm nicht schon längst der Prozess gemacht worden war und der Herzog ihn so lange in Balfour schmachten ließ. Im Verlauf der verflossenen Zeit hatte er immer wieder über die Beweggründe des Grandseigneur nachgegrübelt, die diesen veranlasst haben mochten, den vom Sieur de Ventadon vorgetragenen Bezichtigungen Glauben zu schenken. Es war nicht ersichtlich, warum der Lehnsherr sich diese Anschuldigungen zu eigen gemacht hatte, es sei denn, er verfolgte bestimmte Zwecke mit der Inhaftierung. Vermutlich hatte er niemanden mehr um sich haben wollen, der an seine Vernunft appellierte.
Oft genug hatte Richard seinen Unmut über ein Vorhaben des Souverain kundgetan und in der Folge allerdings wiederholt bereut, nicht die Zunge gehütet zu haben. Doch beim letzten Treffen hätte er unbedingt die Ruhe bewahren und danach trachten müssen, wie in früheren Fällen einen günstigen Moment abzuwarten, um dann, wenn er mit dem Herzog allein gewesen wäre, seinen Einfluss geltend zu machen.
Allein der Gedanke, dass die Gemahlin auf Edgemoor weilte und dort in Sicherheit war, hatte ihn über die entbehrungsreiche Zeit hinweggetröstet. Um sich von der erlittenen Unbill abzulenken, hatte er sich ausgemalt, wie die Gattin im Garten den Sonnenschein genoss, stickend in der Kemenate saß, mit ihren Frauen an einem Wandbehang webte oder sich in der Kunst des Stickens übte.
Es betrübte ihn nach wie vor, dass sie in den Wochen vor seinem Aufbruch nach Poitiers so distanziert geworden war. Sie hatte sich ihm nicht nur verweigert, sondern sich auch in sich zurückgezogen, war unzugänglich geworden und verschlossen. Er hatte sich bemüht, sich über die Gefühle für sie klar zu werden, und doch nicht vermocht, seine Empfindungen in präzise Gedanken zu fassen. Aber letztlich war es nicht so wichtig, wie man die Regungen, die ihn bewegten, wenn er sich der Gemahlin erinnerte, nennen konnte. Von Bedeutung war nur, dass er sich nach ihr sehnte, das verzehrende Bedürfnis hatte, sie in den Armen zu halten, wieder das Strahlen in ihren Augen zu sehen, mit ihr vereint zu sein.
Ein Rumpeln über ihm schreckte ihn auf. Er hörte den Deckstein knirschen, sah gleich darauf Licht und erblickte zwei Türmer, die sich an der Winde zu schaffen machten. Quietschend wurde der schwere Quader an die Kante des Angstloches geschoben, und einen Moment später
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