Historical Platin Band 04
dem Drang, einen letzten Blick auf die hinter ihm aufragende Burg zu werfen, in der er so lange eingekerkert gewesen war. Ständig rechnete er damit, dass die Wächter auf dem Torhaus Alarm geben und ein Trupp Gerüsteter dem Tross hinterherpreschen werde, um ihn wieder in die Festung zu bringen. Je weiter man sich jedoch von ihr entfernte, desto mehr legte sich das Gefühl, noch in Gefahr zu sein. Nach ungefähr fünf Meilen sah er den Sire de Beauchamps, der bisher neben dem Reisewagen hergeritten war, sein Ross anhalten.
Roger wartete, bis der Sieur d’Edgemont bei ihm war, zog dann den Hirschfänger aus der Scheide. Sich weit vorbeugend, durchtrennte er mit einiger Mühe das dicke Hanfseil, mit dem Monsieur Richard gefesselt war. Grinsend richtete er sich auf, schob das Stechmesser in die Schlauche zurück und sagte amüsiert: „Es tut mir leid, dass ich so hart zuschlagen musste.“
„Das ließ sich wohl nicht vermeiden“, erwiderte Richard und rieb sich die schmerzenden Handgelenke.
Roger lachte auf und erwiderte belustigt: „Seid froh, dass die Türmer Euch nicht verletzt oder bewusstlos geschlagen haben. Es wäre Euch gewiss auch nicht genehm gewesen, hätte ich darauf bestanden, Euch ins Eisen schmieden zu lassen. Einen Moment lang fühlte ich mich dazu geneigt, weil ich mir nicht sicher war, ob Ihr begriffen hattet, was Eure Gemahlin und ich bezweckten.“
„Meint Ihr gar, ich hätte zugelassen, dass Ihr mich attackiert, wäre mir nicht schon bald bewusst gewesen, worauf es ankam?“, fragte Richard schmunzelnd. „Ich bin mir sehr schnell gewahr geworden, was Ihr im Sinn hattet.“
„Ich habe dafür gesorgt, Sire, dass in der Bucht von St. Michel ein Schiff wartet, auf dem Ihr nach England segeln werdet“, vertraute Roger ihm an. „Sofern wir rasch genug vorankommen, schaffen wir es, mit der Abendflut in See zu stechen. In Portsmouth angekommen, müsst Ihr versuchen, bei Henry Plantagenet eine Audienz zu erwirken, und ihm Euren Fall vortragen. Prinz Geoffroir ist nicht gewillt, Vernunft anzunehmen. Ich befürchte, dass wir schon in naher Zukunft ein für alle Mal entscheiden müssen, auf wessen Seite wir stehen.“
Nachdenklich nickte Richard, sah den Baron sich vor ihm verneigen und erwiderte den Gruß. Dann trat er dem Schimmel in die Flanken, ritt langsam zum Reisewagen, an dessen Seite sich jetzt Monsieur de Trasignies befand, und äußerte erheitert: „Ihr gebt einen sehr überzeugenden Schwarzmönch ab, Sire. Als Ihr mir drohtet, mich mit Gewalt vor das Konzilium zu zerren, musste ich mich sehr beherrschen, um nicht laut aufzulachen.“
„Am liebsten hätte ich Euch mit der Exkommunizierung gedroht, aber da ich mich im Kirchenrecht nicht auskenne, fand ich es ratsamer, nicht so weit zu gehen“, erwiderte Jerome lächelnd.
„Ich bezweifele, dass Monsieur de Graindorge darin belesener ist denn Ihr“, sagte Richard grinsend. „Ich danke Euch für die Unterstützung.“
„Nicht mir solltet Ihr danken, Sieur, sondern Eurer Gemahlin. Sie hat diese List erdacht.“
„Tatsächlich?“, fragte Richard überrascht. „Ich glaube, in dieser Hinsicht habe ich sie unterschätzt. Hier, nehmt die Zügel meines Pferdes“, fügte er an, warf sie dem Seneschall zu und schwang sich dann aus dem Sattel. Er lief an den Pferden vorbei, stieg behend auf den Wagen und setzte sich zu der so lange entbehrten Gattin.
Im ersten Moment war sie nicht fähig, sich zu regen, und hielt wie gebannt seinem forschenden Blick stand.
Sie war blass, hatte tiefe Kummerfalten bekommen und wirkte sehr abgespannt. Ihre Gewänder waren von der Reise verschmutzt, aber er fand sie schöner denn je. Stürmisch schlang er die Arme um sie, und aufschluchzend schmiegte sie sich ihm an die Brust. Lange hielt er sie umfangen, nicht imstande, der inneren Bewegung Ausdruck zu verleihen, drückte sie sacht an sich und ließ sie weinen.
Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich zu beruhigen begann. Schniefend straffte sie sich, schaute ihn feuchten Auges an und lächelte schwach, als er ihr zart über die Wange strich.
„Das ist das erste Mal, dass du in meiner Gegenwart so geweint hast“, äußerte er weich.
„Ich war auch nie zuvor gezwungen, Lug und Trug anzuwenden, um meinem Gatten die Freiheit zu bringen“, flüsterte Mellisynt bewegt. „Manchmal war ich überzeugt, ich würde die Sache nicht durchstehen.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Du hast mich zu Tode erschreckt, weil du so heftig gewesen
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