Historical Platin Band 04
Hocker auf.
„Ich werde dich jetzt zu Helsas Haus bringen. Mein Vater sagte, du wolltest dir ihre Dinge anschauen.“
„Ja, das will ich. Ich denke mir, dass sie verschiedene Arzneien besaß. Eine andere Hebamme gibt es hier in der Umgebung nicht, oder?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
„Bezahlte man für Helsas Dienste gewöhnlich mit barer Münze oder mit Waren?“
Endredi schaute sie ein wenig verständnislos an.
„Ich will mir nämlich das Geld für meine Heimreise verdienen“, erläuterte Meradyce.
„Du kannst jede Bezahlung verlangen, die dir recht ist, doch unsere Frauen werden sehr traurig sein, wenn sie wieder eine Hebamme verlieren.“
„Ich könnte ja jemanden unterweisen, meinen Platz einzunehmen“, schlug Meradyce vor. Zwar lag ihr sehr viel daran, so bald wie möglich mit den Kindern heimzukehren, doch sie wollte die Frauen hier auch nicht ohne Hebamme zurücklassen.
Endredi schwieg. Sie nickte und ging voraus aus dem Haus hinaus.
Auf dem Weg durch die Siedlung wünschte sich Meradyce, sie besäße einen Umhang. Es war unangenehm nasskalt, und dunkle Wolken bedeckten den Himmel. Doch nicht nur deswegen wünschte sie sich eine weitere Umhüllung.
Das Gewand, das Einar ihr geschenkt hatte, war nämlich zu eng, und die Männer des Dorfes starrten sie an, als wanderte sie nackt umher. Einer der beiden Rothaarigen, die sie noch vom Schiff her in Erinnerung hatte, saß auf einem riesigen Ross; vielleicht wartete er auf jemanden aus einem der Häuser. Sie nahm ihn nicht zur Kenntnis, als sie an ihm vorbeigingen, doch ihr entging nicht, wie er sie musterte.
Aufatmend trat sie endlich in Helsas Haus, das sich am anderen Ende des Dorfes befand. Drinnen roch es zwar recht moderig, doch hier war sie wenigstens vor den neugierigen Blicken sicher.
Noch erleichterter war sie, als sie sich die zahlreichen Tongefäße und Holzkästchen ansah. Die verstorbene Hebamme hatte viele Arzneien besessen. Anscheinend führten die Handelsreisen der Wikinger in weite Fernen, denn einige Kräuter in dieser Sammlung waren sehr selten. Hätte Paul Meradyce nicht so gut unterrichtet, würde sie nicht gewusst haben, worum es sich bei vielen von ihnen handelte.
Das Mädchen war an der Tür stehen geblieben und sah schweigend zu, wie Meradyce ein Gefäß nach dem anderen öffnete, manchmal ihren Finger ein wenig befeuchtete, ihn in ein Pulver steckte und dieses dann mit der Zungenspitze kostete. An manchen Gefäßen roch sie nur.
Unterdessen versuchte Endredi zu begreifen, weshalb ihr Vater diese Frau angenommen hatte. Auf Schönheit legte er sonst keinen besonderen Wert; meistens nahm er hübsche Sklavinnen gar nicht zur Kenntnis, welche von den anderen Männern zwecks Verkaufs an die Händler aus dem Süden herbeigeschafft worden waren.
Oft hatte Einar gesagt, dass Sklavinnen ein Ärgernis wären, auf das er gut verzichten konnte; er würde lieber nach einfach zu transportierenden Gegenständen ausschauen.
Außerdem glaubte Endredi auch nicht, dass ihr Vater Sklaven nehmen würde, denn Olva hatte ihm erzählt, welches Elend sie selbst als Sklavin in einem reichen sächsischen Haushalt hatte ertragen müssen.
Warum also hatte Einar sich diese Frau genommen? Natürlich war sie klug. Aus ihren Augen leuchteten Intelligenz und Verständnis. Loyal und tapfer war sie auch, denn die Kinder hatten ihr, Endredi, erzählt, wie Meradyce gekämpft hatte, um die Wikinger davon abzuhalten, sie alle drei zu entführen. Der junge Adelar verehrte sie ganz offensichtlich, und die kleine Betha betete sie förmlich an.
Die Sachsenfrau war freundlich. Sie hatte sich bereit erklärt, Gunnhild zu helfen, und sie hatte ihr ohne Rücksicht auf ihre eigene Erschöpfung beigestanden. Hamars Gattin hatte wiederholt gesagt, sie sei davon überzeugt, dass die Fremde eine verkleidete Göttin war, denn trotz ihres harten Schicksals schien sie so voller Lebenskraft und guten Mutes zu sein.
Endredi hatte sich das alles schweigend angehört, und sie war sich sicher, dass ihr Vater die Sachsenfrau nicht „so“ angerührt hatte. Schon oft hatte sie die Männer sagen hören, Einar sei zu stolz, um sich eine Frau zu nehmen, die nicht gleich freiwillig in sein Bett hüpfte.
Möglicherweise hatte ihr Vater die Frau ja übernommen, weil er – wie Endredi übrigens auch – spürte, dass sie sich vor ihm nicht fürchtete. Das war für Endredi überhaupt das größte Wunder, denn sie selbst betrachtete ihren Vater immer mit Angst und
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