Historical Platin Band 04
Überlegenheit ärgerte Meradyce. Still blieb sie stehen, streckte die Hand aus und murmelte leise und monoton vor sich hin. Die Hunde rutschten ganz langsam heran, erhoben sich dann und leckten ihr die Hand.
Einar verschränkte die Arme vor der Brust, machte ein düsteres Gesicht und verwies die Tiere mit einem ärgerlichen Befehl auf ihre Plätze zurück. Wortlos schritt er dann zur Tür hinaus und durch das Dorf, ohne sich zu vergewissern, ob seine Schutzbefohlene auch nachkam. Im Stillen dankte Meradyce ihrem Vater dafür, dass er sie gelehrt hatte, so mit fremden Hunden umzugehen, und sie folgte Einar lächelnd nach. Betha und Adelar sahen sie schon von Weitem kommen und eilten ihr entgegen. Die kleine Betha umarmte sie und drückte sich ganz fest an sie.
„Die Frau wird bei dir und Endredi wohnen“, sagte Einar zu seiner Mutter. „Svend hat ihr die Freiheit geschenkt als Belohnung für ihre Dienste bei Gunnhilds Niederkunft.“
„Tatsächlich, Einar?“ Olva lächelte erfreut.
Er nickte. „Sie steht jetzt unter meinem Schutz“, antwortete er mürrisch. Mit einem langen Blick auf seine Anbefohlene wandte er sich zum Gehen.
Meradyce stockte für einen Moment den Atem. Wie Einar sie eben angesehen hatte! Solch einen Blick, in dem sich Zurückhaltung, Bedauern und Stolz mischten, hatte sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben gesehen, und zwar bei Paul, kurz bevor dieser sie verließ.
Nein, das konnte doch nicht wahr sein; sie musste es sich eingebildet haben. Sie hatte Paul aufrichtig geliebt; dieser Mann hier hingegen hatte sie aus ihrem Heimatdorf entführt.
Die Kinder hatte er ebenfalls geraubt, doch hinterher gut behandelt und beschützt. Sie, Meradyce, hatte er vergewaltigen wollen und dann davon Abstand genommen, als sie ihm hilflos ausgeliefert war.
Dennoch – er war ein Wikinger. Was immer er sonst noch sein mochte, und was immer sie von ihm gedacht haben mochte – er war ihr Feind. Das konnte gar nicht anders sein.
4. KAPITEL
Meradyce schlug die Augen auf und war sofort hellwach. Sie starrte an die rauchgeschwärzten Deckenbalken in Olvas Haus und ließ sich die Erinnerungen der letzten Tage noch einmal durch den Kopf gehen. Der Überfall auf ihre Siedlung, die schreckliche Seereise, die Männer … der Wikinger.
Diesen Ausdruck in seinen Augen gestern Abend, den hatte sie sich sicherlich nur eingebildet. Es war ja fast so etwas wie eine Sünde, zwischen dem sanftmütigen Paul und diesem Barbaren irgendwelche Ähnlichkeiten entdecken zu wollen.
Ja, Paul war sanftmütig gewesen, doch keineswegs schwach.
Eine so große Kraft hatte ihn innerlich erfüllt, dass er seine und Meradyce’ Empfindungen zu verleumden vermochte, nur weil er einmal geschworen hatte, dass er dem heiligen Paulus so ähnlich wie möglich werden wollte. Sie hatte ihm vorgehalten, dass viele Priester verheiratet waren, doch es war vergeblich gewesen.
„Ich habe einen Schwur abgelegt, und den werde ich nicht brechen“, hatte Paul gesagt, und bevor er sie verließ, hatte sie denselben Ausdruck in seinen Augen erkannt. Sein Blick hatte Bedauern, doch auch die Entschlossenheit gespiegelt, das zu tun, was er für das Richtige hielt.
Paul hatte diesen Schwur bis zu seinem Tod gehalten.
Nein, dieser Wikinger war nicht wie Paul. Er bestand aus Eisen, Paul aus Gold. Er war ein primitiver, geiler Heide, während Paul ein Heiliger in seiner Selbstverleugnung war.
Nichtsdestoweniger strömte das Blut heiß durch ihre Adern, wenn sie an den halb nackten, wollüstigen Wikinger dachte. Sie schämte sich deswegen. Sie versuchte, sich an Pauls hellblaue Augen zu erinnern, doch vor sich sah sie nur solche, die grau und schwarzumrandet waren.
Von Unruhe und Trauer erfüllt, drehte sie sich auf die Seite, und jetzt merkte sie erst, dass Betha nicht mehr da war, die neben ihr geschlafen hatte. Dafür sah sie Endredi am Herd in der Mitte des Raums sitzen und etwas in einem Topf umrühren, der über dem Feuer hing.
„Wo sind die Kinder?“, fragte Meradyce und stieg aus dem Bett.
Das Mädchen war so seltsam still. Es musste ungefähr in Adelars Alter sein, erschien jedoch seinem Verhalten nach viel älter.
Endredi hielt ihren Rührlöffel still. „Olva hat sie mit zu den Ziegen hinausgenommen, die sie melken will“, antwortete sie leise in sächsischer Sprache.
„Welche Tageszeit ist dieses?“, wollte Meradyce wissen. Sie hatte in ihrem Unterkleid geschlafen und zog sich jetzt das Gewand
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