Historical Platin Band 04
stecken, auf den die Männer offensichtlich ohne Erfolg gezielt hatten.
Plötzlich fühlte er sich von hinten an seiner Tunika gepackt. „Wen haben wir denn hier?“, fragte jemand in sächsischer Sprache. Es war der große blonde Krieger namens Einar, der ihn jetzt zu sich herumdrehte, doch gleich wieder losließ.
Adelar war nur froh, dass er dabei nicht ins Stolpern geriet. Er blickte zu dem Gesicht des Wikingers hoch. Der Mann war nicht böse; er sah vielmehr erheitert aus.
Adelar mochte es nicht, wenn man über ihn lachte. „Deine Freunde sind ziemlich armselige Schützen.“
Der Wikinger schaute ihn etwas verwundert an. „Sie sind eben nicht daran gewöhnt.“
„Pfeil und Bogen sind sowieso nur für die Jagd zu gebrauchen“, meinte der Junge.
„So?“
Adelar blickte Einar unverwandt ins Gesicht, obwohl er einigermaßen erstaunt war. Ihm wäre es nie in den Sinn gekommen, dass ein Bogen – zumindest für Edelleute – etwas anderes als eine Jagdwaffe sein könnte, doch dieser Barbar hier hatte eindeutig eine ganz andere Vorstellung davon.
Der Wikinger mochte durchaus recht haben; spielte es denn in der Schlacht eine Rolle, was „edel“ war und was nicht, solange man nur gewann?
„Hast du Lust, zu uns zu kommen?“, fragte er ernst.
Adelar nickte. Natürlich freute er sich darüber, dass er gebeten worden war, sich den Männern anzuschließen, doch noch erfreuter war er über die Art, wie der Wikinger ihn jetzt ansah – ganz ohne Lächeln auf den Lippen und ohne Erheiterung in den Augen.
Als sie die Gruppe auf dem Feld erreichten, versuchte Adelar die feindseligen Blicke nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er bezweifelte nicht, dass sich die Leute nur deshalb ruhig verhielten, weil Einar bei ihm war.
Dieser nahm einem der kleineren Männer den Bogen aus der Hand und hielt ihn Adelar hin. „Versuche einmal den hier, wenn du magst.“
Der Junge nickte und nahm die Waffe in die Hand. Es war ein feiner, aus starkem, biegsamem Eibenholz gefertigter Bogen.
Einar überreichte ihm dazu einen Pfeil.
Die anderen Wikinger lachten.
Adelar brachte sich in Stellung, spannte die Sehne und zielte sorgfältig. Wieder brachen die Leute in Gelächter aus, doch Adelar ignorierte sie. Für ihn zählte jetzt nur, dass er den Baum traf. Er ließ den Pfeil schwirren, der einen Moment später mit dumpfem Geräusch mitten in den Baumstamm einschlug.
Adelar lächelte. Er wusste, dass er mit einem guten Blick und einem starken Arm gesegnet war, doch darauf war er noch nie so stolz gewesen wie jetzt.
„Gut gemacht, mein junger Sachse“, stellte Einar fest, und der Junge hörte der Stimme des Mannes aufrichtige Hochachtung an. Lächelnd wollte er den Bogen zurückgeben.
„Nein, ich finde, du solltest ihn behalten. Unter einer Bedingung.“
Adelar wartete.
Der Wikinger stellte sich dicht vor ihn und stemmte die Hände auf die Hüften. „Versprich mir, dass du ihn nie gegen mich verwendest.“
Adelar dachte über dieses Verlangen nach. Der Mann war ein Feind seines Volkes, ein wilder Wikinger, der seine sächsische Heimatsiedlung überfallen, ausgeraubt und zerstört hatte. Doch er hatte Meradyce und Betha nichts angetan …
Der Junge blickte dem Krieger ernst und standhaft in die grauen Augen. „Ich verspreche es.“ Und damit war ein fester Bund geschlossen, denn obwohl noch ein Knabe, gab Adelar sein Wort niemals leichtfertig.
Einar nickte und sagte etwas zu den anderen Männern. Jetzt lachte niemand mehr.
Mit einem Mal kam Betha angerannt und packte Adelars Arm. „Was machst du denn hier?“, flüsterte sie und weinte fast dabei. „Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen.“
Adelar schüttelte die Hand seiner Schwester ab. „Ich hatte keine Lust mehr, mir die Ziegen anzusehen.“
Olva kam heran und blickte Einar an.
„Er ist zu uns gestoßen und hat mit uns zusammen Bogenschießen geübt. Wenn er will, darf er bleiben.“
Falls diese Erklärung Olva verblüffte, so zeigte die Frau dies nicht. Sie wandte sich an Betha. „Komm mit mir, meine Kleine. Adelar bleibt hier bei Einar.“
Betha ließ sich von Olva an die Hand nehmen und wegführen.
Sie wusste, dass ihr Bruder bei Einar gut aufgehoben war. Obwohl dieser ein Wikinger war, hielt sie ihn für einen guten Menschen, und Betha wusste immer ganz genau, ob jemand gut oder böse war.
Außerdem war ihr noch etwas aufgefallen: Einar hörte sich so an wie manchmal Meradyce, nämlich so, als wäre er sehr einsam und traurig. Wenn Meradyce sich
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