Historical Platin Band 04
Schrecken. Ein strenger Blick von ihm reichte schon, und sie wollte am liebsten in Tränen ausbrechen. Doch sie wusste, dass er Feiglinge verabscheute.
Plötzlich schrie die Sachsenfrau leise auf, was Endredis Aufmerksamkeit erregte.
„Das ist ja großartig!“, rief sie und hielt ein kleines Kästchen in die Höhe. „Dieses Kraut habe ich bisher nur ein einziges Mal gesehen – in einem Kloster.“
Endredi gab sich große Mühe, sich ihre Furcht nicht anmerken zu lassen. Sie wusste, was ein Kloster war. Das war dort, wo die Priester der Sachsen ein Leben in Luxus führten! Die Sachsen zahlten ihnen nämlich große Summen, weil die Priester sonst böse Flüche über sie sprachen und sie in ein ewiges Feuer verdammten.
Endredi tastete nach dem Amulett an ihrem Hals, das Thors Hammer zeigte. Nein, mit etwas, das aus einem Kloster kam, wollte sie nichts zu tun haben.
Was jedoch die anderen Arzneien betraf, so nahm sie sich vor, die Sachsenfrau genau zu beobachten und so viel wie möglich von ihr zu lernen. Dass sie davon schöner werden würde, glaubte sie zwar nicht, doch sie hoffte, dass ihr Vater sie weniger ablehnen würde, wenn sie über Kenntnisse in der Heilkunde verfügte.
Endredi seufzte leise. Falls die Sachsen einmal kämen und sie stählen, würde ihr Vater es wahrscheinlich überhaupt nicht merken. Ausmachen würde es ihm jedenfalls nichts.
Zuerst hatte Adelar interessiert zugehört, als Olva ihm die Namen sämtlicher Ziegen nannte. Die kleine Betha war ganz selig, denn sie liebte Tiere, und bei einem der Vorratshäuser hinter der Weide hatte sie ein Kätzchen gefunden, mit dem sie nun glücklich spielte.
Der Junge schaute seiner Schwester zu und sehnte sich nach Haus zurück. Das redete er sich jedenfalls ein. Er versuchte die Erinnerungen an die letzten Wochen daheim zu vertreiben. Er wollte nicht an die Sticheleien und Streitereien denken, an die bösen Worte in der Nacht, an die geflüsterten Beschuldigungen, an die Tränen seiner Mutter und daran, wie Betha sich immer die Ohren zugehalten hatte oder davongelaufen war, um Meradyce zu suchen. Das hatte er selbst auch getan.
Meradyce war seine Freundin, seine Lehrerin und seine Trösterin, und er war wild entschlossen gewesen, sie vor den Wikingern zu beschützen. Doch er hatte versagt. Jetzt war sie wohl frei, doch was hieß das schon, wenn ein Wikinger das sagte? Adelar konnte nur hoffen, dass er sie wenigstens jetzt vor Schaden zu bewahren vermochte.
Hoffentlich war seine Mutter nicht allzu verzweifelt. Bestimmt wusste sie doch ebenso wie er, dass die raffgierigen Wikinger seine Schwester, ihn selbst und Meradyce nicht töten würden, solange sie noch die Aussicht auf ein gutes Lösegeld hatten. Sein Vater würde gewiss jede Summe zahlen, die diese Barbaren verlangten.
Olva begann mit dem Melken, wobei sie hin und wieder einen warmen Milchstrahl in das Mäulchen der kleinen Katze spritzte. Betha lachte entzückt. Eine zweite alte Frau kam zu ihnen und plauderte mit Olva in der fremden Sprache der Wikinger. Adelar hörte angestrengt zu, um festzustellen, ob er etwas verstehen konnte. Es gelang ihm nicht; die beiden Frauen sprachen auch viel zu schnell.
Er schaute sich um. Ein niedriger Steinwall begrenzte die Weide. Dahinter erstreckte sich ein Kiefernwald, der nicht allzu dicht war, denn man konnte zwischen den Bäumen den Pfad erkennen.
Zwei Männer mit Pfeilköchern und Bogen, welche ein wenig länger als ihre Arme waren, gingen hinter dem Steinwall zum Wald. Adelar schaute ihnen verwundert nach. Die Sachsenkrieger sprachen immer nur von den Streitäxten und den Schwertern der Wikinger; dass diese auch Pfeil und Bogen benutzten, hatte er nicht gewusst.
Jemand rief laut, und die beiden Männer beschleunigten ihre Schritte. Wahrscheinlich sind sie zu Schießübungen unterwegs, dachte Adelar und blickte sich rasch um. Olva unterhielt sich während des Melkens noch immer mit der anderen Frau, und Betha neckte das Kätzchen mit einem Kleiderzipfel.
Adelar kletterte über den niedrigen Wall und lief den beiden Männern hinterher. Hinter einem Baum am Rand eines großen Felds versteckte er sich. Eine Gruppe Männer mit ihren Waffen in den Händen stand ganz in der Nähe. Die Leute blickten recht unbehaglich drein; anscheinend waren sie mit Pfeil und Bogen nicht recht vertraut. Einer der Männer war ein paar Schritte vorgetreten und spannte seinen Bogen.
Adelar schaute über das Feld und sah mehrere Pfeile im Boden vor einem kleinen Baum
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