Historical Platin Band 04
voraussagen kann, doch das Kind liegt hoch, und ihre Hüften haben sich nicht sehr geweitet. Es könnte also sehr gut ein Knabe werden.“
Nachdem Olva das weitergegeben hatte, lächelte Asa, doch das sah Meradyce nicht. Sie befühlte noch immer den Leib der jungen Frau. Irgendetwas war ungewöhnlich. Sie legte ihr Ohr an Asas Bauch und lauschte konzentriert. Dann trat sie zurück. „Im wievielten Monat ist sie?“
„Ungefähr im siebten“, antwortete Olva.
Nun hegte Meradyce keine Zweifel mehr. Zwillinge! Sie hatte mehr als nur zwei Füßchen gefühlt, und für eine im siebten Monat Schwangere war das Mädchen ziemlich dick. „Sage ihr, sie soll sofort nach mir schicken, falls sie ungewöhnliche Schmerzen hat. Das Kind ist sehr kräftig, und oft sind die Kräftigen zu ungeduldig, um die Zeit abzuwarten.“
Meradyce log, doch sie wollte die junge Frau nicht beunruhigen. Zwillinge kamen meistens zu früh und waren dann zu klein zum Überleben. Dennoch war es durchaus möglich, dass es gesunde Kinder wurden, und deshalb gab es keinen Grund, Asa zu verängstigen.
Olva übersetzte und sah dann Meradyce an. „Ich habe ihr gesagt, Einars Brüderchen wird ihm ähnlich sein. Er ist fast einen ganzen Monat zu früh zur Welt gekommen und trotzdem ein starker Bursche geworden. Als er wenige Tage alt war, hat er mir mit seiner kleinen Faust auf die Lippe geschlagen, dass sie geblutet hat!“
Meradyce war schon zu einer anderen Frau weitergegangen, hielt jedoch einen Moment inne. Wie war es möglich, dass diese junge Frau mit Einars Bruder schwanger ging, wenn Olva Einars Mutter war? Irgendetwas muss ich da wohl missverstanden haben, dachte sie.
Dann jedoch erinnerte sie sich daran, was sie über die Ehescheidung gehört hatte, die bei den Wikingern etwas ganz Normales war. Ferner hatte sie gehört, dass die Männer mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet sein konnten. Natürlich, das erklärte alles.
Es wäre reine Zeitverschwendung, wollte sie versuchen, die Sitten der Wikinger zu verstehen. Einars Abstammung und alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen gingen sie schließlich nichts an.
Während der restlichen Stunden dieses Nachmittags untersuchte sie weitere schwangere Frauen und versuchte festzustellen, wo es Probleme geben konnte und wo nicht.
Die gesundheitliche Verfassung schien bei allen Wikingerfrauen gut zu sein. Meradyce empfahl ihnen, so viel zu essen, wie sie wollten, und insbesondere Gemüse zu sich zu nehmen, da es wohlbekannt war, dass Grünzeug das Blut kräftigte.
Die Frauen wollten indessen nichts essen, das hier für Unheil bringend gehalten wurde. Andererseits taten sie bis zum Tragen von Amuletten alles, was ihrer Meinung nach die Gesundheit des Kindes sicherstellen konnte. Ein solcher Aberglaube führte wahrscheinlich zu nichts, doch Meradyce wusste, dass er auch nicht schaden konnte, solange er die werdende Mutter zuversichtlicher machte.
Am Abend, als sich das Langhaus fast geleert hatte, nahm Olva ihre Arbeit am Webstuhl auf. Betha, die ihr Kätzchen ins Freie hinausgelassen hatte, beobachtete fasziniert, wie schnell die alte Frau vorankam. Endredi war dabei, das Abendessen zu bereiten, und der köstliche Duft aus dem Kochtopf erfüllte das ganze Haus.
Meradyce lächelte der noch übrig gebliebenen Frau zu, die Olva ihr als Reinhild vorgestellt hatte. Sie war nach Helsas Tod mit einem Kind niedergekommen und wollte nun wissen, ob mit ihr und ihrem Baby alles in Ordnung war. Mutter und Kind fehlte nichts. Als sich Reinhild zum Gehen wandte, hörte Meradyce ein Geräusch von der Haustür her und wandte sich um.
Einar kam herein und trug eine der Truhen aus seinem Haus bei sich. Bevor Meradyce ihn nach Adelar fragen konnte, drückte sich der Junge schon an ihm vorbei und lief auf sie zu. Er trug einen Bogen in der Hand. „Schau, den hat er mir geschenkt! Und ich bin der beste Bogenschütze – besser als alle Männer hier!“
Meradyce nickte. Am liebsten hätte sie sich unsichtbar gemacht, denn Reinhild schaute sie so neugierig an, während Einar herankam. Meradyce tat, als wäre sie ungeheuer fasziniert von Adelars Bogen.
„Hamar hat mich beauftragt, dir noch einmal seinen Dank auszusprechen.“ Einar stellte die Truhe ab.
Schweigend senkte Meradyce den Blick.
„Du brauchst andere Kleider“, erklärte er recht brummig.
„Dieses Gewand da ist unanständig.“
Sie schaute auf. „Falls es ‚unanständig‘ ist, kann ich kaum dafür verantwortlich gemacht werden. Du
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