Historical Platin Band 04
David fortgezogen?“
„Ja“, antwortete James. „Die Zeiger der Uhr hatten sich zweimal gedreht, bevor ich herkam.“
Micheil sehnte sich danach, sich dem Bruder anzuvertrauen. In schwachen Momenten hatte er sogar das Bedürfnis empfunden, sich mit David auszusprechen, dessen Freundschaft ihm fehlte. Andererseits hatte er sich bisher noch nicht dazu überwinden können, ihm zu verzeihen. Der Grund war nicht nur, dass David Seana zur Flucht verholfen hatte. Vielmehr hatte sich der Gedanke festgesetzt, David könne Seana beigelegen haben. Möglicherweise war das Kind, das sie unter dem Herzen trug, das seines jüngsten Bruders. „Ich bin sicher, er ist zu Seana geritten“, äußerte er bedächtig.
„Ja“, bestätigte James. „Oder wäre es dir lieber gewesen, ich hätte dich belogen?“
„Nein. Ich höre zu viele Dinge, deren Wahrheitsgehalt ich nicht ergründen kann.“
„Seanas Zeit nähert sich. Die Kerzenweihe steht bevor. Das ist ein guter Tag für die Geburt eines Kindes. Besser könnte man den Beginn des Lenzes nicht begehen. Und was die Lügen betrifft, Micheil, solltest du dir denjenigen, der sie verbreitet, genau ansehen. Ich nehme nicht für mich in Anspruch, besonders klug zu sein, doch mir ist klar, dass Unwahrheiten nur demjenigen nutzen, der sie ausspricht.“
„Wem dient es dann zu behaupten, David habe Seana beigewohnt? Mit wessen Kind wird sie niederkommen? Wer zieht Nutzen aus dem Gerücht, David habe mich hintergangen?“
„Die Antwort findest du in deinem Herzen, Micheil.“ Ruhig hielt James dem prüfenden Blick des Bruders stand. Er sah, wie sehr Micheil sich innerlich quälte, und wünschte sich, dessen Pein mit einem Wort beenden zu können. Es stimmte ihn traurig, dass Micheil sich abwandte, doch er beschloss, die Sache nicht auf sich bewenden zu lassen.
„Ich müsste Seana vor eine teuflische Alternative stellen“, murmelte Micheil. „Entweder vermähle ich mich mit ihr, oder ich beende meine Seelenqual, indem ich Seana töte. Sie hat gewagt, mir Bedingungen zu stellen, von mir zu verlangen, ihr zu vertrauen. Ich habe den Vater und Bridget gegebenen Eid nicht eingelöst, und dennoch richtet Seana Forderungen an mich, bevor ich sie haben kann. Am liebsten würde ich sie aus meinem Herzen und Sinn vertreiben. Doch da sie eine Zauberin ist, hat sie mich in Bann geschlagen und mich an sie gebunden, wiewohl unzählige Meilen uns trennen.“ Micheil krümmte die Hand in das Schießschartenloch der Zinne, bis die Haut sich weiß über den Knöcheln spannte. „Ich habe unserer Schwester die einzige Gabe verwehrt, um die sie zur Ebenweihe bat. Auch sie stellt mich vor eine teuflische Alternative. Ich kann Seana nicht meucheln. Doch zu den Bedingungen, die sie mir gestellt hat, will ich sie nicht haben.“
James bemerkte den sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen des Bruders und schwieg, damit Micheil zu sich fand. Erst nach geraumer Zeit bemerkte er: „So du glaubst, dass David dich mit Seana betrogen hat, frage ich mich, warum du ihn dann nicht getötet, zumindest aber zum Zweikampf herausgefordert oder wenigstens verstoßen hast. Wieso hast du die Schwätzer, von denen die dich jetzt seelisch belastenden Gerüchte in Umlauf gebracht wurden, zum Schweigen gebracht? Bisher hast du Niall nicht einmal der Rolle wegen, die er bei der für dich fast tödlich verlaufenen Begegnung mit Joris MacKeith gespielt hat, zur Rede gestellt. Ich begreife das nicht. Welchen Druck übt er auf dich aus?“
Micheil ballte die Hände und sah zornig den Bruder an. „Denkst du, das hätte ich mich nicht schon längst gefragt?“, erwiderte er schroff. „David ist mein Fleisch und Blut. Ich kann ihn nicht töten. Ja, ich habe ihm, Bridget und Fiona zu schweigen befohlen. Und was Niall angeht, so hat er mir gegenüber stets eine heuchlerische Haltung eingenommen. Ich halte es für besser, die Schlange zu beaufsichtigen, statt darauf zu warten, dass sie mir an einem mir unbekannten Ort auflauert und zubeißt. Innerhalb unserer Sippe täuscht er Mitgefühl für mich vor und erkundigte sich gleichzeitig verstohlen, ob es nicht angebracht sei, dass unser Clan sich einen anderen Anführer bestimmt.“
„Ich hatte angenommen, seine Machenschaften wären dir nicht bekannt“, erwiderte James und lächelte betreten. „Unser Vetter hat wirklich hochfliegende Pläne.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr fort: „Ich wüsste gern, Micheil, wie er das Blutvergießen zu seinen Gunsten
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