Historical Platin Band 04
sie beinahe vom Hocker gefallen wäre. „Hoppla. Wie würdelos! Und wir müssen doch immer ganz würdevoll sein. Findest du nicht auch, Einar der Ausgedachte? Natürlich findest du das.“
Sie blinzelte ihn an. „Du bist ja sogar so würdevoll, dass du nicht einmal für mich kämpfst. Es ist unter deiner Würde, mich auch nur anzuschauen, jetzt, wo andere Männer um mich freien dürfen.“
Sie trank noch einen großen Schluck. „Weißt du, das Zeug hier schmeckt köstlich. So etwas habe ich schon seit langer, langer Zeit nicht mehr getrunken. Seit dieser Ernte nicht mehr, und da haben die Jungen … wie hießen die eigentlich? Ach, das spielt keine Rolle. Die haben mit wurmstichigen Äpfeln nach mir geworfen und mich durch den ganzen Obstgarten gejagt. Ich kann dir sagen, ich bin so schnell wie ein Reh gerannt. Gekriegt haben sie mich nicht.“
Sie kicherte wieder und beugte sich vor. „Ich habe mich nämlich in den Höhlen versteckt“, flüsterte sie geheimnisvoll. „Weißt du, dort, wo sich die Dorfbewohner immer vor euch Wikingern verstecken.“
Wieder trank sie, und dann machte sie ein finsteres Gesicht. „Verstehst du, schon damals waren die Jungen hinter mir her. Wie ich das hasste! Und wie ich sie hasste! Ich wollte, dass sie mich in Ruhe ließen. Wie jetzt. Ich möchte in Ruhe gelassen werden.“ Sie zeigte mit dem Finger in die ungefähre Richtung des „ausgedachten“ Einar.
„Das kannst du mir glauben! Ich will nicht heiraten.“ Sie seufzte schwer und trank weiter. „Das wollte ich einmal. Ich liebte ihn, und er liebte mich auch. Doch er hatte ein Gelübde abgelegt, das er nicht brechen durfte.“
Sie schwenkte die restliche Flüssigkeit in ihrem Becher herum und betrachtete sie. „Er hat mich nur ein einziges Mal geküsst. Nur einmal. Er sagte, das könnte ich nicht verstehen. Die Sache mit seinem Gelübde. Ich war damals vierzehn. Ich wusste schon, was ich fühlte.“ Sie schwieg einen Moment. „Glaube ich“, fügte sie dann ganz leise hinzu.
Nach einem weiteren Schluck und einer weiteren gedankenvollen Pause setzte sie ihre Rede langsam und noch leiser fort. „Jetzt weiß ich es nicht mehr so genau.“ Sie warf einen Blick auf das Trugbild.
„Ich wollte natürlich, dass er mich küsst“, fuhr sie nachdenklich fort. „Doch wenn Einar mich anschaut … wenn er mich berührt … dann will ich sehr viel mehr als nur einen Kuss.“
Das Trugbild bewegte sich ein wenig.
„Ich wünschte, ich könnte dich wegdenken. Selbst wenn du nur etwas Ausgedachtes bist, bist du viel zu gut ausgedacht.“
Sie trank unbeirrt weiter. „Ich würde zu gern wissen, wie es sein würde, mit ihm zu leben. Er hat nicht oft gelacht.“ Mit einem Seitenblick auf das Trugbild fuhr sie fort: „Einar lacht so selten – jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit. Dabei kann er so hübsch lachen. Zu Betha und Adelar ist er nett. Das mit Endredi ist zu schade, doch ich kann verstehen …“
Sie verschränkte die Arme vor sich auf der Tischplatte und blickte furchtbar düster drein. „Ich wünschte, er hätte dieses Gelübde nicht abgelegt.“ Sie sank nach vorn und schluchzte leise auf. Ihre Stimme war nur noch ein kaum hörbares Flüstern. „Ich wünschte, die Wikinger wären nie gekommen!“
Das Trugbild bewegte sich näher heran.
„Ich wünschte, ich hätte Einar nie gesehen. Ich wünschte, er wäre nie nett zu mir gewesen. Ich hätte im Traum nicht … ich dachte nie, dass … doch wenn er mich küsst … ich bin eine Närrin. Eine entsetzliche Närrin.“
Sie sank noch weiter vornüber. „Ich darf doch einen Wikinger nicht … das kann ich doch nicht.“ Sie schloss die Augen. „Ich tue jetzt so, als wäre ich mit ihm wieder im Klostergarten.“ Sie drückte die Augen ganz fest zu und runzelte dabei bekümmert die Stirn.
„Was ist eigentlich mit mir los? Ich sehe immer nur Einar.“ Sie legte den Kopf auf ihre verschränkten Arme. „Und ihm liegt überhaupt nichts an mir.“ Sie schlummerte ein.
Recht nachdenklich verließ der sehr wirkliche Einar Helsas Hütte.
10. KAPITEL
Einar versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass es für ihn das Beste war, nichts mit der Sächsin zu tun zu haben. Keine Frau durfte jemals wieder Macht über ihn gewinnen. Die Vergangenheit und die Gefühle der Sachsenfrau hatten ihm nichts zu bedeuten. Er durfte kein Mitleid, keine Sorge, keine Zärtlichkeit für sie empfinden.
Während er sich in Helsas Hütte ihre
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