Historical Saison Band 06
beendete Amy ihren Bericht, obwohl sie bei diesen Worten Gewissenbisse verspürte. Allerdings hatte Mr Sinclair sich längst selbst verraten. Inzwischen wusste wahrscheinlich der halbe Haushalt von dem blutigen Kampf zwischen ihm und Lyndhurst-Flint. Außerdem war Amy bei ihrem Vorhaben auf Sarahs Unterstützung angewiesen.
„Ich kann es einfach nicht glauben“, entgegnete Sarah kopfschüttelnd. „Marcus hätte dich nie gebeten, ein solches Risiko auf dich zu nehmen. Das hat er vermutlich auch nicht getan, oder etwa doch?“
„Äh … nein. Um die Wahrheit zu sagen, Sarah, er verbot mir ausdrücklich, es zu tun. Allerdings beabsichtige ich nicht, seinem Verbot Folge zu leisten. Die Gentlemen werden alle auf der Jagd sein, und ihre Kammerdiener werden sie begleiten. Da kann ich ganz leicht und unbemerkt in Mr Lyndhurst-Flints Zimmer schlüpfen, sobald gerade niemand in der Nähe ist. Immerhin liegt es direkt neben deinem Schlafzimmer. Es wird also ein Kinderspiel sein.“
„Es ist gefährlich“, widersprach Sarah unbeeindruckt. „Aber ich merke schon, dass man dich nicht mehr umstimmen kann. Also bleibt mir wohl nicht viel anderes übrig, als dir zu helfen. Lass mich mal überlegen … Ja, ich glaube, das ist keine schlechte Idee. Cassie schlug gestern vor, dass die Damen einen Lunch in der Dachkuppel einnehmen sollten, weil wir dann die Möglichkeit hätten, von oben einen Blick auf das Jagdgeschehen zu werfen. Sie hat sogar vorgeschlagen, wir sollten ein Teleskop benutzen, um ganz genau zu beobachten, was vor sich geht. Natürlich hat Großtante Harriet sie wegen dieses Vorschlags streng ins Gebet genommen. ‚Das ist ein vollkommen unangemessenes Verhalten für eine Dame. Meine liebe Cassie, eine Viscountess beobachtet keine Gentlemen durch ein Fernrohr. Das ist taktlos.‘ Ich konnte mir nur mühsam ein Kichern verkneifen.“
Amy lachte. Sarahs Nachahmung von Miss Lyndhursts Stimme und Mimik war nahezu perfekt.
„Ich denke, das könnte für dich von Nutzen sein, Amy. Den Bediensteten ist der Zutritt zur Kuppel normalerweise untersagt, aber ich kann dafür sorgen, dass Cassies Zofe bei uns bleibt, sodass sie dir nicht im Weg steht. Ich werde einfach vorschlagen, dass sie uns beim Lunch bedienen soll oder dergleichen. Dann hast du freie Bahn.“
„Sarah, du bist ein Schatz!“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Sarah mit einem verschmitzten Lächeln. „Sobald du deine Durchsuchung beendet hast, kommst du zu uns nach oben, damit ich weiß, dass wir jederzeit alle wieder nach unten gehen können. Bis dahin werde ich deine Abwesenheit mit irgendeiner Ausrede rechtfertigen.“
„Wenn niemand in der Nähe ist, wird es leicht zu bewerkstelligen sein“, sagte Amy nachdenklich. „Vorausgesetzt, dass es dir tatsächlich gelingt, Miss Lyndhurst und ihre Gesellschafterin zu überreden, an einer so taktlosen Eskapade teilzunehmen und mit in die Kuppel zu steigen.“
„Da mache ich mir gar keine Sorgen. Vergiss nicht, dass ich hier unter den Damen den höchsten Rang einnehme und de facto die Rolle der Gastgeberin spiele. Großtante Harriet ist zwar spindeldürr, aber alles andere als eine Kostverächterin. Ich werde ihr deutlich machen, dass Anthonys Personal sich um die Verpflegung der Jagdgesellschaft kümmern muss und daher die einzige Mahlzeit, die für die Damen vorgesehen ist, aus einem kalten Lunch in der Kuppel besteht.“ Sie grinste vergnügt. „Großtante Harriet wird zwar unüberhörbar zetern, aber ich wette mit dir, dass meine Rechnung aufgeht.“
Für vier Damen und einen improvisierten Lunch in der Dachkuppel musste ein halber Haushalt an Möbeln nach oben geschafft werden. Da alle männlichen Bediensteten mit der Jagdgesellschaft losgezogen waren, trugen die beiden Zofen eine Dreiviertelstunde lang Klapptische und Stühle, Kissen und Körbe sowie eine Unmenge offenkundig überflüssiger Gegenstände die Wendeltreppe hoch und stellten sie in der Licht durchfluteten Kuppel ab.
Ohne jede Übertreibung hatte man von dort einen fantastischen Blick. Die Arme voller Kissen, hielt Amy einen Moment inne, um die Aussicht zu genießen. Es war ein strahlender Herbsttag, und die Jäger und ihre Hunde waren gut zu sehen.
„Gute Frau, diese Kissen sollen es Ihren Herrschaften bequemer machen und dienen nicht zur Entschuldigung für Tagträumereien!“
Amy wirbelte herum. Miss Lyndhurst schritt langsam durch den Kuppelraum, gefolgt von ihrer Gesellschafterin. Die alte Dame hielt ihr Hörrohr in einer
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