Historical Saison Band 06
herunter. Die arme Miss Saunders wurde fürchterlich ausgenutzt. Wenn sie den Damen nicht gerade laut vorlas, musste sie in Miss Lyndhursts Ankleidezimmer all die Ausbesserungsarbeiten für ihre Herrin übernehmen, die normalerweise Zofen oder Dienstmädchen erledigten. Was war das für ein elendes Leben für eine Frau von Stand!
Amy wusste die Antwort nur zu genau. Es war genau das Leben, das einer unverheirateten Dame bevorstand, die über keine Einkünfte oder andere finanzielle Mittel verfügte. Es war die Art von Leben, mit der auch sie sich bald würde abfinden müssen.
Die Hälfte der Sachen hatte sie bereits durchgesehen und noch immer nichts gefunden. Amy zog einen weiteren teuren und makellosen Gehrock aus dem Schrank. Sie durchsuchte die Taschen, eine nach der anderen. Die Schubladen und alle sonstigen Orte, die sich als Versteck anboten, hatte sie bereits unter die Lupe genommen. Wenn sie Mr Lyndhurst-Flints Kleidung durchforstet hatte, gab es nichts mehr, wo sie noch suchen konnte. Was, wenn sie nichts fand?
Sie versuchte, nicht daran zu denken. Ebenso verdrängte sie den Gedanken an Marcus, der eingesperrt im Ankleidezimmer des Majors wartete und jeden Moment ins Gefängnis abgeführt werden konnte. Irgendwo musste doch ein Hinweis zu finden sein. Sie musste unbedingt einen Beweis erbringen!
Sie griff nach dem nächsten Gehrock und durchsuchte die Taschen. Marcus Sinclair … Warum hatte sie ihn nicht sofort erkannt? Er hatte sich gar nicht so stark verändert. Natürlich war er etwas älter geworden, aber sonst war er derselbe wie damals. Wieso hatte sie sich von seiner unfrisierten Aufmachung täuschen lassen? Fraglos hatte der Bart einiges von seinem Gesicht verborgen, aber dennoch … Wenn sie ganz ehrlich mit sich war, hatte sie vermieden, ihm ins Gesicht zu sehen. Seit ihrer ersten Begegnung in Lyndhurst Chase war sie so durcheinander gewesen wie nie zuvor. Daher hatte sie sich bemüht, ihn nicht direkt anzusehen.
Nur noch ein einziger Gehrock blieb übrig.
Inständig wünschte sie sich, Marcus Sinclair helfen zu können. Sie wusste, dass er keinerlei Schuld an dem trug, was man ihm zur Last legte. Alle anderen schienen ihm zu unterstellen, in diese üble Sache verstrickt zu sein, vielleicht sogar der Major.
Amy indes hegte keinen Zweifel. Marcus Sinclair war ein ehrenhafter Mann. Zu einem so hinterhältigen Angriff war er gar nicht fähig. Aber warum hat er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um mich zu beschützen? Beschützt zu werden war eine ganz neue Erfahrung für sie. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ohne Schutz auskommen müssen. Stets war sie es gewesen, die andere umsorgt und in Schutz genommen hatte – zunächst ihre verwitwete Mutter und dann den jüngeren Bruder. Es war ein eigenartiges Gefühl, dass es jemanden gab, der bereit war, sie an die erste Stelle zu setzen und der dafür überdies solche Risiken einging. Marcus Sinclair war zweifellos ein ganz besonderer Mann.
Sie ließ ihre Finger in die Innentasche des Gehrocks gleiten, die sie noch nicht durchsucht hatte. Sie war leer. Alles war vergebens. Sie hatte Marcus versprochen, ihm zu helfen, und war kläglich gescheitert. Sie schlüpfte zurück in Sarahs Schlafzimmer und ließ sich niedergeschlagen vor dem kleinen Schreibtisch nieder. Was konnte sie jetzt noch tun? Sie ertrug den Gedanken nicht, Marcus von ihrer Niederlage zu berichten. Sie hatte ihm einen Beweis liefern wollen, aber rein gar nichts gefunden. Bald kamen der Major und die übrige Jagdgesellschaft wieder ins Haus zurück. Würde Anthony Lyndhurst seine Drohung wahr machen und mit Marcus abrechnen? Es war möglich, dass man ihn noch heute ins Gefängnis brachte. Und dann war es ihre Schuld.
Sie verbarg ihr Gesicht mit den Händen. Sie durfte auf keinen Fall aufgeben. Bestimmt existierte irgendein Beweis. Sie musste etwas übersehen haben.
Aber was konnte das sein? Sie hatte nicht einmal den Brief wiedergefunden, den Mr Lyndhurst-Flint an seine Gläubiger gerichtet hatte. Sicher hatte er ihn längst abgeschickt, oder er trug ihn noch bei sich.
Das ist es! Wenn es tatsächlich einen Beweis gab, hatte Lyndhurst-Flint ihn gewiss nicht in seinem Zimmer zurückgelassen. Um kein Risiko einzugehen, würde er ihn mit sich führen. Sie musste die Taschen seines Reitrocks durchsuchen, den er auf der Jagd trug.
Amy sprang hoch. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Mr Lyndhurst-Flints Zimmer ein weiteres Mal zu durchsuchen, sobald er sich beim Dinner befand.
Aber was
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