Historical Saison Band 08
wissen zwar nichts über sich selbst, besitzen aber erstaunliche Kenntnisse in vielen anderen Bereichen. Es ist faszinierend, wie das menschliche Gehirn arbeitet.“
Sie schnitt sich ein Stück vom Roastbeef mit der feinen französischen Sauce ab. „Ich würde eher sagen, es ist beunruhigend.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Die Gestaltung von The Folly liegt Ihnen offenkundig sehr am Herzen“, stellte sie fest, um das Gespräch wieder auf Architektur und Gartenbau zu lenken.
„Ja, in den letzten zehn Jahren habe ich einen Großteil meiner Zeit damit verbracht. Ich habe ein kleines Haus direkt am See errichten lassen, sodass man auf der Uferterrasse picknicken kann.“
„Wenn es auch nur halb so schön wie dieses Gebäude gestaltet ist, muss es entzückend sein.“
„Danke für das Kompliment. Wenn die Zeit es erlaubt, würde ich es Ihnen morgen gern zeigen. Es befindet sich direkt unterhalb der Terrassenanlage.“
„Ich möchte Ihnen nicht noch mehr Umstände bereiten, Lord Chillings“, erwiderte Felicia und sah ihm direkt in die Augen.
„Wie Sie möchten“, sagte er langsam.
Oswald entfernte den letzten Gang und verteilte die Servierteller mit den Desserts. Es war eine schwindelerregende Menge süßer Köstlichkeiten. Felicia konnte der Versuchung nicht widerstehen, von allem ein wenig zu probieren.
Sie lachte erheitert. „Ich muss eine ganz schöne Naschkatze sein.“
„Es scheint fast so“, stimmte Chillings zu und nahm sich von der Weincreme.
Nach dem Dessert stand Felicia auf. „Ich danke Ihnen sehr für die Einladung, Lord Chillings. Es hat mir sehr große Freude gemacht, mich mit Ihnen über The Folly und Ihre Verschönerungsmaßnahmen zu unterhalten.“
Er erhob sich und verbeugte sich. „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Madam.“
Sie drehte sich um und wollte aus dem Zimmer gehen. Dabei bemerkte sie das Gemälde oberhalb der Eingangstür. Es zeigte den jungen Chillings in einer schnittigen Husarenuniform.
Auf dem Bild wirkte er ebenso charmant wie verwegen. Lässig hatte er ein Bein über das andere geschlagen, wobei er mit der Schulter gegen sein Pferd lehnte. Er war das Paradebeispiel eines Offiziers, an dem jede Frau interessiert war. Seine dunkelblaue, mit Goldborten geschmückte Uniform ließ seine Schultern noch breiter wirken, als sie ohnehin schon waren.
Felicia war wie hypnotisiert. Sie atmete plötzlich schwach, und ihr Herz schlug wie wild. Er war umwerfend.
„Das ist ein paar Jährchen her“, bemerkte Chillings kühl.
Seine Worte brachten sie wieder zur Vernunft.
„Ein einwandfrei gemaltes Bild“, kommentierte sie mit gespielter Gleichgültigkeit.
Ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, ging sie aus dem Zimmer und lächelte dem Diener zu, der die Tür für sie geöffnet hielt. Doch das Bild von Chillings in seiner Uniform hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt. Kein Wunder, dass er verlobt war. Er musste alle heiratswürdigen Frauen gemieden haben, um so lange Witwer geblieben zu sein.
Sie brauchte dringend Ablenkung, ansonsten stand ihr eine schlaflose Nacht bevor. Sie steuerte auf die Bibliothek zu. Ein Buch in lateinischer Sprache schien ihr jetzt genau das Richtige.
Bisher war sie noch nicht in der Bibliothek gewesen, aber sie wusste, wo sie sich befand. Staunend hielt sie am Eingang inne. Wie die anderen Repräsentationsräume lag die Bibliothek an der halbmondförmigen Wandelhalle, sodass die Außenwand abgerundet war. Sie wurde von Fenstern flankiert zwischen denen sich deckenhohe Bücherregale befanden. Wie im übrigen Haus schirmten graugrüne Samtvorhänge den Raum vor der Kälte der Nacht ab.
Ein prasselndes Kaminfeuer wärmte das Zimmer, erhellte indes nur spärlich die Ecken, wo die Schatten der Flammen über die Wand tanzten. Auch hier hing ein Bild über dem Kamin. Diesmal war es ein Gruppenbild mit zwei jungen Männern und einer Frau in der Mitte. Alle drei lachten über etwas, das auf dem Bild nicht auszumachen war.
In einem der Dargestellten erkannte sie den jungen Chillings. Die junge Frau hatte eine starke Ähnlichkeit mit ihm. Sie war ebenso hochgewachsen und von schlanker Eleganz. Der zweite Mann wirkte dunkler. Sein Haar war pechschwarz, sein Gesicht gebräunt, was nicht der von der Mode diktierten vornehmen Blässe entsprach. Nur die Nase und die dunkelblauen Augen verrieten Gemeinsamkeiten mit den beiden anderen. Alle drei waren nach der Mode des beginnenden Jahrhunderts gekleidet. Beau Brummell wäre stolz
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