Historical Saison Band 08
auf sie gewesen.
Ihr Gastgeber hatte also nicht nur eine Schwester, die bald als Anstandsdame anreisen sollte, sondern auch noch einen jüngeren Bruder.
Schließlich wandte sie sich den Büchern zu und suchte die Buchrücken ab, bis sie eine lateinische Ausgabe der Odyssee gefunden hatte. Sie öffnete den Buchdeckel und begann zu lesen. Sie verstand Latein.
Fassungslos sank sie auf den nächsten Stuhl. Sie besaß so viele Kenntnisse, die viele andere nicht hatten, und konnte sich dennoch nicht an ihren Namen erinnern. Das war entmutigend. Ihr war bewusst, dass die meisten Frauen kein Latein konnten.
Aufseufzend erhob sie sich und machte sich auf den scheinbar endlos weiten Weg zu ihrem Zimmer.
Als sie das Spielzimmer passierte, hielt sie an. Dort stand Chillings mit einem Queue über den Billardtisch gebeugt. Um auf den Gang zu gelangen, der zu ihrem Zimmer führte, musste sie an ihm vorbeigehen. Ihr blieb keine andere Wahl, denn sie fühlte sich müde.
Gerade traf er mit dem Queue eine weiße Kugel, die dann gegen eine rote Kugel stieß. Der rote Ball prallte an der Bande ab, während die weiße Kugel liegen blieb. Es sah nach einer eintönigen Abendbeschäftigung aus.
„Gute Nacht, Lord Chillings“, murmelte sie höflich im Vorbeigehen.
„Ah, Madame Felicia. Haben Sie Lust, mitzuspielen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, aber ich glaube ich weiß nicht, wie das funktioniert.“
„Ich werde es Ihnen beibringen“, sagte er, richtete sich auf und stellte den Queue auf dem Boden ab, sodass das spitz zulaufende Ende gegen den Tisch lehnte. „Es ist mir ein Vergnügen.“
Fragend sah sie ihn an. Er hatte doch bislang mehr als deutlich gezeigt, wie lästig ihm ihre Gegenwart war.
„Danke, aber ich bin ein wenig erschöpft.“
Sie ging weiter, wenn auch bedeutend langsamer. Er besaß eine Anziehungskraft, die sie wünschen ließ, ihm nahe zu sein. Diese magnetische Wirkung war von Anfang an da gewesen, so lächerlich es ihr schien.
„Haben Sie etwa Angst?“, fragte er herausfordernd, während er sich lässig gegen den Tisch lehnte und die Beine über dem Fußknöchel kreuzte.
Ja, dachte sie. Ich habe Angst vor dem, was Sie mich empfinden lassen. Und laut antwortete sie: „Ich bin bloß müde.“
Seine blauen Augen funkelten, und er schmunzelte. „Natürlich.“
Er drehte sich um, als ob sie plötzlich nicht mehr für ihn existierte. Missmutig biss sie sich auf die Unterlippe. Sie sollte besser gehen.
Stattdessen sagte sie: „Nun, es könnte schon interessant sein.“
Er fuhr herum. „Ja, das kann es in der Tat.“
Felicia sah sich verunsichert um und fragte sich, worauf sie sich gerade einließ.
„Ich denke ein kleinerer Queue wäre für Sie das Beste.“
Er nahm einen schmalen Stab von einer Vorrichtung an der Wand, an der zahlreiche Queues von unterschiedlicher Länge und Dicke befestigt waren. Felicia erinnerte sich nicht an die Regeln des Spiels.
„Also es geht darum, mit dieser Kugel die rote Kugel zu treffen.“
Sie nickte.
„Man versucht daher, mit dem Queue die erste Kugel so zu treffen, dass sie gegen die zweite stößt.“
Erneut nickte sie. Es ging also um eine genaue Koordination von Augen und Händen. Sie bezweifelte, dass es ihr auf Anhieb gelingen würde. Chillings hielt ihr einen Queue hin. Sie nahm ihn in die Hand und überlegte, ob er verärgert reagieren würde, wenn sie schlecht spielte. Aus irgendeinem Grund bekam sie bei diesem Gedanken feuchte Hände, als ob jemand in ihrer Vergangenheit einmal so reagiert hätte.
Es entging ihr nicht, dass er sie genau beobachtete.
„Wenn Sie doch keine Lust haben, es auszuprobieren, brauchen Sie es nur zu sagen“, sagte er mit seiner verführerisch melodischen Stimme.
„Nein, nein … das heißt, ich möchte es gern versuchen.“
Ihr Puls ging schneller, und ihr wurde klar, wie leicht sie sich von ihm beeindrucken ließ.
„Am Anfang sollten Sie einfach nur üben, die Kugel zu treffen.“
Sie nickte, hob den Queue an und hielt das spitze Ende gegen den Ball, wie sie es zuvor bei ihm gesehen hatte. Sie zog den Queue zurück und stieß ihn dann nach vorn. Die Spitze traf die Kugel schräg unten, sodass sie über den Tischrand hüpfte und auf den Boden kullerte.
Sie runzelte die Stirn. „Es ist schwerer, als es aussieht.“
„Nein, eigentlich nicht.“
Sie drehte sich zu ihm um. „Lachen Sie etwa über mich?“
Er bückte sich, hob die Kugel auf und legte sie wieder auf den Tisch. „Versuchen Sie es
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