Historical Saison Band 09
anzutreffen. Wie sollte sie sich nach den Geschehnissen der letzten Nacht ihm gegenüber benehmen? Es wäre sicher unpassend gewesen, ihn zu schneiden oder ihm Vorwürfe zu machen. Aber sie konnte auch nicht so tun, als sei nichts passiert, sonst würde er womöglich annehmen, sie sei daran gewöhnt, geküsst zu werden.
Sie ahnte nicht, dass James nie zuvor so unzufrieden mit sich selbst gewesen war. Er schämte sich für sein Verhalten und sagte sich immer wieder, wie unverzeihlich es gewesen sei. Unter diesen Umständen wagte er es nicht, Sophie gegenüberzutreten.
Daher traf Sophie zu ihrer großen Erleichterung im Frühstückszimmer nur Harriet an, der sogleich auffiel, dass etwas nicht in Ordnung war. Besorgt erkundigte sie sich, was geschehen sei. Und als sie keine Antwort erhielt, rief sie erschrocken aus: „Es hat etwas mit James zu tun, nicht wahr? Hat er etwas Böses zu Ihnen gesagt?“
Sophie schüttelte schwach den Kopf.
„Sie sehen so unglücklich aus! Bitte, Sie müssen mir die Wahrheit sagen!“
„Ihr Bruder hat mich geküsst.“
Erleichtert nickte Harriet. „Er mag Sie.“
„Mir kam es eher vor, als wolle er mir beweisen, wie mächtig er ist.“
„Ach?“
„Ich werde mir eine andere Unterkunft suchen.“
„Liebes, das dürfen Sie nicht einmal denken! Wohin sollten Sie gehen? Außerdem würde es sehr unangenehme Gerüchte geben, wenn Sie Belfont House verlassen. Schließlich weiß alle Welt, dass James die Verantwortung für Sie übernommen hat.“
„Daran hätte er eher denken sollen!“
„Wie wahr … Trotzdem sollten Sie versuchen, ihm zu verzeihen. Gewiss bereut er schon, was er getan hat. Doch zum Glück ist ja kein Schaden angerichtet worden.“
Sophie brach in hysterisches Lachen aus. Kein Schaden? Nie zuvor war sie so unglücklich gewesen. Eine Zeit lang hatte sie es sich nicht eingestehen wollen, dass sie den Duke liebte. Doch nun ließ es sich nicht mehr leugnen. Ihre Reaktion auf seinen Kuss hatte allzu deutlich bewiesen, welche Gefühle sie Belfont entgegenbrachte. Gefühle, die er zweifellos nicht erwiderte …
„Bitte“, drängte Harriet, „versprechen Sie mir, nichts Unüberlegtes zu tun.“
„Gut“, sie nickte, „ich werde nicht fortgehen, ohne Ihnen Bescheid zu geben.“
Später unternahmen die beiden Frauen eine Ausfahrt in den Hyde Park.
Leider wollte es Sophie diesmal nicht gelingen, sich an den Schmetterlingen zu freuen, die über den Blumen tanzten. Sie hatte keinen Blick für die bunten Blüten und die in sattes Grün gehüllten Bäume und Büsche. Sie hörte nicht, wie die Vögel sangen, und nahm nicht einmal die angenehme Wärme der Sonne wahr. Ihre Gedanken drehten sich unentwegt um James.
Wenn wenigstens nicht ständig jemand nach ihm gefragt hätte! Doch all jene Bekannten, denen sie begegneten, erkundigten sich nach dem Duke und danach, was es Neues bei Hofe gäbe. Harriet antwortete höflich, aber ausweichend. Nur einmal, als jemand nach Lady Colway fragte, sagte sie abweisend: „Ich habe keinerlei Informationen über diese Dame und auch keinerlei Interesse an ihr.“
Dieser kurze Wortwechsel erregte Sophies Aufmerksamkeit. Dem Tonfall glaubte sie entnehmen zu können, dass zwischen dieser Lady Colway und Belfont eine besondere Verbindung bestand. Und sogleich fragte sie sich, ob er die Dame wohl auch so leidenschaftlich geküsst hatte wie sie.
Es war eine äußerst quälende Vorstellung.
Wieder daheim wollte Harriet endlich die Einladungen zu Sophies Ball fertig machen.
Vergeblich versuchte Sophie noch einmal, die Freundin von ihrem Plan abzubringen. Harriet bestand darauf, dass es ihr Freude machen würde, den Ball auszurichten, und dass es zudem in James’ Interesse sei, eine solche Gesellschaft zu geben.
Sophie fühlte sich überaus erleichtert, dass der Duke sich in den nächsten Tagen nicht in Belfont House blicken ließ. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie sich gleichzeitig nach ihm sehnte. Wenn sie ihn nur einmal von Weitem sehen könnte! Wenn sie nur seine Stimme hören könnte! Wenn sie nur wüsste, was er für sie empfand!
Unaufhaltsam rückte der Abend heran, an dem sie ihn anlässlich eines Besuchs in der Oper treffen sollte. Sophie hatte auf Harriets Rat hin ihre neue Abendrobe aus heller Gaze angezogen, eine Kreation, die so geschnitten war, dass man das Unterkleid aus grünem Satin sehen konnte. Das Kleid war so tief dekolletiert, dass Sophie errötete, als sie in den Spiegel schaute, und Rose bat, ihr
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