Historical Saison Band 16 (German Edition)
diese Last loszuwerden? Hatte er jemals das Wohl seiner Familie gegen das von Soldaten und ganzen Nationen abgewogen?
Der Vater, an den sie sich erinnerte, hatte felsenfest für seine Überzeugungen und sein Ziel eingestanden. Während seine Kinder heranwuchsen, hatte er sie gelehrt, dass sie ihren Widersachern trotzen sollten. Ein Mann, hatte er immer gesagt, der keine Überzeugungen hatte und wie ein Blatt im Wind schwankte, würde schon bei der geringsten Herausforderung schwach werden.
Lilya sank erschöpft in ihrem Stuhl zusammen. Der heutige Tag war eine Prüfung gewesen und es würden noch weitere folgen.
Sie hatte den Mann angegriffen, der auf Beldon geschossen hatte. Agyros würde wütend sein. Aber vielleicht würde er Zeit brauchen, um einen Ersatzmann zu finden. Das gab ihr vielleicht ein oder zwei Tage, Beldon zu pflegen und zu verhindern, dass sich seine Wunde infizierte.
Und dann?
Dann war es Zeit zu gehen. Allein.
Das Erste, woran Beldon dachte, als er erwachte, war Lilya. Er hatte sie beschützt. Da war ein Mann mit einer Pistole gewesen. Er selbst war angeschossen worden. Bilder tauchten Stück für Stück aus seiner Erinnerung auf: der plötzliche Angriff, wie er Lilya auf den Kutschenboden gestoßen hatte, bevor er auf den Kutschbock geklettert war, um dem Kutscher beizustehen. Lilya, die ihr Messer auf den Angreifer geworfen hatte. Lilya, die dem Arzt blass, aber gefasst geholfen hatte …
Sie hatte besorgt gewirkt. Das war gut zu wissen. Offenbar war es ihr wichtig, ob es ihm gut ging. Ihre Leidenschaft für ihn war sicherlich echt. So etwas konnte niemand spielen. Aber sie würde ihr Erbe immer der Liebe vorziehen. Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass sie überhaupt noch in London war.
Wie lange hatte er geschlafen? Durch die geschlossenen Vorhänge drang nur wenig Licht herein. Es war sicher weder Nacht noch früher Morgen. Seine Schulter pochte, sein Arm schmerzte. Der Schmerz war ein gutes Zeichen. Er erinnerte sich daran, dass er den Arm auf der Rückfahrt hierher nicht mehr gespürt hatte. Er war ganz und gar taub gewesen. Beldon wollte aufstehen und ein paar dringende Dinge erledigen. Aber er schaffte es nicht.
Seine Augen suchten den Raum ab. Da saß jemand in einem Stuhl.
Lilya.
Er musste lächeln. Aber er würde sie verdammt noch mal nicht danach fragen, ob sie ihm einen Nachttopf bringen könnte. Ein Mann hatte seinen Stolz und seiner war heute schon hinreichend verletzt worden.
Er hatte sich geirrt. Sein Plan, Agyros’ nächsten Zug zu provozieren, hatte zwar funktioniert, allerdings anders, als er angenommen hatte. Wie hätte er auch ahnen sollen, dass jemand am helllichten Tage auf ihn schießen würde! Welche Dummheit! Und ohne Lilya wäre er jetzt tot. Erst ihre Warnung hatte ihn dazu gebracht, sich umzudrehen. Wenn Lilya den Kerl jedoch nicht gesehen hätte …
Er wusste auch, dass der Kampf anders ausgegangen wäre, wenn Lilya nicht das Messer geworfen hätte. Statt die Angreifer zurückzuschlagen, wären sie wohl jetzt in ihrer Gewalt. Es war bitter für ihn, aber ohne Lilya wäre das Ganze nicht gut ausgegangen. Wenn man sie so in ihren eleganten Seidenkleidern sah, vergaß man nur zu leicht, dass diese schlanke Schönheit ein Herz aus Stahl hatte.
Seine Blase meldete sich. Es schien ganz so, als müsse er noch eine bittere Pille schlucken. „Lilya“, rief er.
Sie wachte auf und streckte sich. „Du bist wach. Wie geht es dir? Ich hole dir ein Glas Wasser.“
Auf keinen Fall Wasser! „Könntest du zuerst einen Diener rufen?“
Sie schaute ihn fragend an. Bitte! Bring mich nicht dazu, es auszusprechen , dachte Beldon verzweifelt. „Ich brauche nur eine Minute. Dann können wir miteinander reden.“
„Natürlich“, entgegnete Lilya und eilte aus dem Raum.
Es waren zwei Diener nötig, um ihn hochzuheben. Beldon konzentrierte sich darauf, gegen den Schwindel anzukämpfen. Er wusste, dass das vom Blutverlust herrührte, aber dieses Wissen löschte den Schwindel nicht aus. Seine Gedanken waren gleichzeitig mit anderen Dingen beschäftigt. Sie mussten Vorkehrungen treffen. Lilya musste beschützt werden. Wenn er richtig vermutete, plante sie bereits ihre Flucht. Sie würde den heutigen Angriff als Beweis dafür sehen, dass nichts und niemand die Filiki Adamao aufhalten konnte.
Die Diener hatten ihn zum Sofa gebracht, wo er nun – aufrecht und durch Kissen gestützt – auf Lilya wartete. Mittlerweile war es später Nachmittag, kurz nach der
Weitere Kostenlose Bücher