Historical Saison Band 19
„Strip the willow“ hieß und, wie Hugo feststellte, ausgezeichnet dazu geeignet war, jegliche rührselige Stimmung zu vertreiben. Denn das allein war es, was er fühlte. Es durfte nichts anderes sein.
Völlig erschöpft vom Tanz hielt Hugo etwa eine Stunde später Ausschau nach Emilia, um sie zu fragen, ob er ihr auch eine Erfrischung besorgen solle. Leider konnte er sie nirgendwo entdecken und beschloss, sich bei der Müllerstochter, die in der Nähe des Scheunentors frische Luft schöpfte, nach ihr zu erkundigen. „Haben Sie Mrs Weston gesehen?“
„Sie ist vor zehn Minuten hinausgegangen“, antwortete sie und zog die Stirn kraus. „Das ist ganz schön lang bei dieser Kälte.“ Besorgt schaute sie ihn an. „Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir ein, dass Lawrence Bond ihr gefolgt ist. Das ist natürlich gewiss kein Grund zur Besorgnis, allerdings wäre ich nicht gern mit ihm allein. Er starrt einem immer so an.“ Sie schüttelte sich theatralisch. „Ziemlich gruselig.“
Die Bemerkung genügte, um auch Hugo einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. „Danke“, sagte er, schlug den Jackettkragen hoch und ging hinaus in die Dunkelheit.
„Mr Bond … Lawrence. Ich wollte lediglich kurz Luft schöpfen. Nun ist mir kalt und ich möchte mich wirklich nicht hier draußen mit Ihnen unterhalten.“ Emilia machte einen Schritt nach vorne, in der Erwartung, er würde ihr Platz machen, doch der Kleinbauer versperrte ihr nach wie vor den Weg. Wegen der hohen Schneebänke konnte sie nicht an ihm vorbeigehen.
„Ich halte Sie gerne warm“, sagte er mit dem süffisanten Grinsen, das ihr so missfiel. „Ohnehin hatte ich keine Unterhaltung im Sinn.“
Niemals hätte sie hinter die Scheune gehen sollen, doch sie hatte einen Blick auf den Nachthimmel werfen wollen, um zu prüfen, ob Wolken aufzogen, die weiteres Tauwetter ankündigten. „Wie ich schon sagte, möchte ich wieder hineingehen.“ Unvermittelt stieg Furcht in ihr auf, obwohl so viele Menschen in der Nähe waren. Doch würde man sie über die Musik und das Gelächter hinweg hören, wenn sie um Hilfe rief?
„Komm schon, zier dich nicht länger. Wenn du mit dem Major tändeln kannst, dann kannst du es auch mit mir. Mir ist nicht entgangen, dass du mich beobachtest und mir schöne Augen machst, obwohl du vorgibst, ach so tugendhaft zu sein.“
„Wenn ich Sie beobachte, Lawrence Bond, dann nur, weil ich Ihnen nicht traue! Und ich bin wahrhaftig eine tugendhafte Frau, Sie impertinenter Lustmolch.“
Ihre Beleidigung perlte wie Wasser an ihm ab. Ungerührt raunte er: „Wenn dem tatsächlich so sein sollte, dann entgeht dir das Vergnügen, einen wahren Mann zwischen den Beinen zu spüren.“
Emilia griff sich einen Kamm aus ihrem Haar. „Wenn Sie mich anfassen, werde ich Ihnen damit das Gesicht zerkratzen“, drohte sie.
„Ach ja?“ Er war zu groß und zu schnell für sie. Noch bevor sie reagieren konnte, umschlang er sie fest mit den Armen und drückte sie hart an sich. Gleich darauf presste er die feuchten Lippen auf ihren Mund. Sein Atem roch unangenehm nach Zwiebeln. Heftig trat sie nach ihm, doch da wurde er plötzlich am Kragen von ihr fortgezogen und gegen die Flintsteinmauer der Scheune geschleudert.
Hugo packte Bond am Halstuch, rammte ihm die Faust ans Kinn und stieß ihn zurück in die Schneebank. Dann bedachte er Emilia mit einem besorgten Blick.
„Was hat er dir angetan? Hat er dich verletzt?“, verlangte er zu wissen. Am liebsten hätte er Bond, diese dreckige Laus, umgebracht, weil er sie angefasst und erschreckt hatte.
„Er wollte mich nicht gehen lassen und hat mir einen Kuss aufgedrängt“, stammelte sie und rieb sich mit der Hand übers Gesicht, als könne sie damit das Gefühl von Bonds Mund fortwischen.
Er hat sie geküsst und hätte sich noch mehr genommen, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Meine Frau. Er hat meiner Frau Gewalt angetan.
Hugo bückte sich und zog den von Schnee bedeckten Mann auf die Füße, packte ihn am Kragen und zog ihn ganz nah an sich. Wäre Bond ein Gentleman oder Offizier gewesen, hätte er ihn zum Duell gefordert und ihm eine Kugel verpasst. Ein Funken der Selbstbeherrschung, der durch den flammend roten Nebel der Wut drang, hielt ihn jedoch davon ab. Vor Emilias Augen konnte er ihn weder fordern noch zu Brei schlagen.
„Sie werden sich bei der Dame für Ihre Worte und Taten entschuldigen. Dann werde ich mich vielleicht – aber auch nur vielleicht –
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