Historical Weihnachten Band 6
anderen Frau verstieß, und nur wenig älter, als er auch diese sitzen ließ, um anderswo sein Glück zu suchen. Selbst jetzt noch zog sich ihm bei der Erinnerung an jene trostlosen Jahre sein Innerstes zusammen. Als er zurückgekehrt war, hatte er nur noch das Grab seiner Mutter vorgefunden, und sein Hass auf einen Vater, der gestorben war, bevor er ihn zur Rede stellen konnte, war gewachsen. Längst begraben geglaubte Gefühle überwältigten ihn, sie verdrängten die Wärme und die Fröhlichkeit im Saal.
Benedick schluckte einen Kloß im Hals hinunter und warf seinem Mündel, das gerade von einer Gruppe junger Leute fortgezogen wurde, die alle an ihrem Kleid rissen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, einen Blick zu. Noel grinste und streckte die Hände aus, als wäre sie eine von ihnen.
Verblüfft stellte Benedick fest, dass er tief in seinem Innern diese strahlende Kindfrau vor den harten Tatsachen des Lebens beschützen wollte. Diese Entdeckung beunruhigte ihn, und er sah weg. Andere Gäste versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, doch er achtete nicht darauf und saß schweigend da, allein unter vielen, und brütete missgelaunt vor sich hin. Aber Noel zog unwiderstehlich seinen Blick an.
Schlank und graziös machte sie mit den Kindern ein Spiel, bei dem es darum ging, Rosinen aus einer Schüssel zu picken, in der ein Feuer brannte. Die Älteren kannten das Spiel offenbar schon, sie sicherten sich die Früchte, ohne sich die Finger zu verbrennen. Die Kleineren waren darin nicht so gut, deshalb holte meist Noel die Rosinen für sie heraus. Trotz seines zynischen Überdrusses fuhr Benedick entsetzt zurück, als er sah, wie sie ihre Hand aus der Schüssel riss, als ob sie sich verbrannt hätte.
Er war schon aufgestanden, doch blieb er stehen, als sie sich einen ihrer Finger in den Mund steckte. Kichernd saugte sie daran, und Benedick merkte, wie sich zwischen seinen Schenkeln etwas rührte. Er atmete langsam aus und stellte sich vor, wie sich ihre Lippen um ihn schlossen, warm und weich, begierig nach seinem Samen …
Benedick marschierte quer durch den Saal, an den Feiernden vorbei, hinaus an die frische Luft. Vielleicht würde ein Spaziergang um die Wehranlagen der Burg ihm wieder einen klaren Kopf verschaffen – und sein Blut abkühlen. Der Wind riss an seinem schweren Mantel und brachte ihn schnell wieder zur Besinnung, aber der Marsch an den Mauern entlang und ein gelegentliches Nicken zu den Wachposten hinauf rief ihm nur die Einsamkeit des Soldatenlebens in Erinnerung.
Er dachte an all die vielen Weihnachtsfeste, als er, isoliert in der Kälte, die Grenzen anderer Herren bewacht, für die Ländereien anderer Herren gekämpft hatte, als er zwei Wochen in einem Unterschlupf ausharrte, um dann wieder loszuziehen, um Menschen zu töten. Er stieß seinen Atem weiß in die kalte Nachmittagsluft und blickte erschauernd ins Leere. So stand er lange Zeit da und dachte über die Entscheidungen nach, die er in seinem Leben getroffen hatte.
Endlich schaffte er es, seine seltsame Stimmung abzuschütteln, indem er die Steine der Mauern berührte, die ihm gehörten. Früher war er voller Besitzerstolz gewesen. Aber nun, da er endlich wieder hier war, konnte er dieses Gefühl, das ihn die letzten Jahre am Leben gehalten hatte, nicht erneut wecken. Ruhelos zog es ihn weiter, als würde er nach etwas suchen, von dem er gar nicht wusste, dass er es verloren hatte.
Obwohl er selbst es abstreiten würde, blickte Benedick doch immer wieder zurück zu dem hell erleuchteten Saal, in dem die anderen feierten. Und wo Noel war. Als er endlich zurückkehrte, war es schon spät, das Abendessen war vorbei, der Raum nicht mehr so voll. Nach der ganzen Nachdenklichkeit, die für ihn ganz ungewohnt war, fühlte Benedick sich merkwürdig unsicher, als er eintrat. Ohne es zu bemerken, suchte er nach Noel, und tatsächlich stand sie sofort neben ihm, als ob er sie gerufen hätte, ein ihn willkommen heißendes, doch besorgtes Lächeln auf den Lippen.
„Wo seid Ihr denn gewesen? Die Leute haben nach Euch gefragt, und ich habe mir Sorgen gemacht“, erklärte sie und sah ihn an. „Ist alles in Ordnung?“
Benedick machte den Mund auf, doch er sagte nichts. Er wusste wirklich nicht, was er erwidern sollte, denn er war sich seiner selbst nicht sicher. Was immer er auch tat, sie würde verletzt sein. Er blickte auf sie hinab, sie war so süß, so voller Güte, und ihre Blicke trafen sich: der seine von Schmerzen geplagt und
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