Historical Weihnachten Band 6
unter dem Mistelzweig geschehen war. Nicht nur einmal, sondern zweimal hatte er seine Stellung und seine Entscheidung vergessen und sich wie ein brunftiger Narr in Noel verloren.
Ihm entglitten die Dinge, so viel war sicher. Die Lektion, die er ihr hatte erteilen wollen, war gründlich misslungen. Anstatt sich von ihm abzuwenden, stellte Noel ihm nun mit noch mehr Eifer nach. Benedick errötete bei dem Gedanken. Nun, er war auch nur ein Mann, ihre Entschlossenheit schmeichelte ihm, aber er durfte ihr vergebliches Streben nach einer Heirat nicht auch noch bestärken.
Obwohl er ihr die traurige Wahrheit gern erspart hätte, konnte Benedick die Sache nicht länger aufschieben, wenn er ihr nicht noch Schlimmeres antun wollte. Besser jetzt als später, denn sie schien mit jedem Tag kecker und entschlossener zu werden.
Es war an der Zeit für ein ernsthaftes Gespräch mit ihr. Und dieses wollte Benedick nicht unten im Saal führen, umgeben von dem ganzen Weihnachtsplunder und dem Mistelzweig und die Erinnerung an ihren Weihnachtswunsch. Auch störte ihn die Anwesenheit anderer Menschen, besonders die von Alard mit seinem süffisanten Grinsen.
Also hatte er sie gebeten, ihn in seinem Schlafgemach aufzusuchen. Nach seinen nächtlichen Träumen schien ihm das die einzige Lösung zu sein. Aber als er sich jetzt umsah, staunte er, wie viel Platz das Bett einnahm.
Fluchend lehnte er die Stirn an die Wand. Ruhe und Erholung – das war es, was er hier suchte. Stattdessen plagten ihn tagsüber die lautstark Feiernden und nachts seine Träume. Vielleicht würde er nie zur Ruhe kommen, weil er sie nicht verdiente.
„Benedick?“
Benedick hob den Kopf und erblickte sein Mündel in der Tür. Er hatte Noel nicht kommen hören, aber das war es nicht, was ihn entsetzte. Es war die Vertrautheit, mit der sie ihn beim Vornamen nannte und die Hitze in ihm aufsteigen ließ. Bisher hatte sie ihn immer mit „Sir Villiers“ oder nur mit „Sir“ angesprochen. Er spannte seinen Körper an, als wolle er in die Schlacht ziehen, aber er war sich nicht sicher, ob er gegen sie Krieg führte oder gegen sich selbst.
Noel wollte die Tür hinter sich schließen, doch er hielt sie mit einer Handbewegung davon ab. Schon jetzt bedauerte er, sich diesen Ort für das Gespräch ausgesucht zu haben, denn er wollte nicht erneut in Versuchung geraten. „Lasst sie auf, ich will Euch hier nicht einschließen. Ich möchte nur mit Euch reden – allein.“
Ihre Augen waren so blau und so groß, dass Benedick fast zurückgewichen wäre. Eine Süße, eine Sanftheit und eine Neugier lagen darin, wie er sie noch nie gesehen hatte. Sie war wirklich jung und unschuldig!
Benedick stieß sich von der Wand ab. „Ich habe Euch kommen lassen, um Euch mitzuteilen, dass ich keine weiteren Zurschaustellungen unter dem Mistelzweig dulden werde.“ Er wandte sich ab, weil ihm die Erinnerung daran zu schaffen machte, und beugte sich aus dem Fenster, um seine unerwünschte Erregung vor ihr zu verbergen.
„Als Euer Vormund ist es meine Pflicht, einen Gatten für Euch zu finden, aber ich will nicht, dass Ihr entehrt zu ihm geht. Wenn Ihr unbedingt wegen irgendeiner lächerlichen Tradition zwölf Küsse verteilen müsst, dann beschränkt Euch bitte auf die Kinder oder Hardwin.“ Auf jeden, der zu jung oder zu alt ist, um dadurch in Wallungen zu geraten, fügte er im Stillen hinzu.
„Aber –“
Benedick hob eine Hand. „Ich übernehme die volle Verantwortung für das, was vorgefallen ist“, sagte er unbeholfen. „Doch diese Küsse müssen keusch und kurz sein. Daher werdet Ihr sie nicht länger an mich oder irgendeinen anderen Mann verteilen.“
„Aber ich möchte Euch küssen“, erwiderte Noel mit dieser atemlosen Stimme, die ihn fast verrückt machte. „Und das wird meinem Gatten nichts ausmachen, denn Ihr seid es doch, den ich heiraten werde.“
„Nein!“ Rau und scharf und verletzend klang er, als er sich wieder zu ihr umwandte. „Schluss mit diesen törichten Weihnachtswünschen!“, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Noel aber war ganz und gar nicht erschrocken, ja sie wirkte nicht einmal verstört. „Mit meinem Wunsch kann ich tun, was ich will“, sagte sie mit einem Lächeln. „Ihr seid der Herr dieser Burg, aber über den Zauber der Weihnachtszeit habt Ihr nicht zu befehlen.“
„Zauber!“ Benedick fluchte und trat vor den Kamin. Lange Zeit starrte er in das Feuer, erblickte Geister in den Flammen und Blut in der roten
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