Historical Weihnachten Band 6
zurückkehrte, und ihr Blick weich wurde. „Aber Ihr seid doch überall von dem Zauber umgeben“, sagte sie und machte eine Handbewegung, die den ganzen überfüllten Saal einschloss. „Zu welcher anderen Jahreszeit dürfen die Bauern zu einem Mahl in der Burg Platz nehmen? Wann fühlen sich die Menschen enger miteinander verbunden? Brüderlichkeit und Liebe“, hauchte sie atemlos, „sind überall.“
Brüderlichkeit! Wenn es dergleichen wirklich geben sollte, so hatte Benedick das noch nie erlebt. Und Liebe! Sein Mündel dachte immer noch, er würde es heiraten, und jetzt schwatzte die Kleine auch noch von diesem hochgelobten, aber nicht existierenden Gefühl. Falls sie annahm, er würde zu ihren Füßen in Ohnmacht sinken, konnte sie auch gleich den Mond anbeten.
„Verratet mir doch einmal, Noel“, fragte er süffisant, „wie viele von Euren Weihnachtswünschen sind denn schon in Erfüllung gegangen?“
„Keiner.“
„Keiner?“ Benedick war verblüfft über ihre selbstbewusste Antwort. Er hatte erwartet, sie würde zumindest von einem Wunsch behaupten, er sei in Erfüllung gegangen, was er dann als Zufall abtun konnte. Aber kein einziger? Wie konnte selbst dieses arglose Unschuldslamm im Angesicht eines so vollständigen Versagens an einem sinnlosen Glauben festhalten? Er schüttelte den Kopf. Sie war nicht nur naiv, sondern auch hoffnungslos leichtgläubig. Wenn Benedick in den Büchern nicht Beweise für ihre Klugheit gefunden hätte, würde er sie für vollkommen töricht halten.
Während er zusah, wie sie unbekümmert in ein Stück Gewürzapfel biss, dachte Benedick über ihr Verhalten nach. Ihre vergangenen Enttäuschungen schienen sie überhaupt nicht zu entmutigen. Er fragte sich, was das wohl für Wünsche gewesen waren, denn sie zeigte keinerlei Bedauern. Hatte sie sich frivole Lächerlichkeiten wie goldene Schuhe gewünscht oder ganz und gar unmögliche Dinge, wie Kranke heilen zu können? Der Gedanke beunruhigte ihn, und zum ersten Mal fragte er sich, wie ihr Vater wohl gestorben war.
„Was für Wünsche waren das denn, deren Erfüllung Euch vorenthalten wurde?“
Noel warf ihm einen entsetzten Blick zu. „Wieso? Gar keine!“, rief sie aus.
„Gar keine?“ Benedick war völlig verdattert, ihm war ganz schwindelig sowohl von ihrer Anwesenheit als auch von dem Unsinn, den sie von sich gab. Er schüttelte noch einmal den Kopf und starrte sie fragend an.
„Gar keine“, wiederholte sie. „Obwohl meine Mutter oft von der Magie gesprochen hat, die Weihnachtswünsche in Erfüllung gehen lässt, sagte sie auch, dass ich meine Wünsche niemals für lächerliche Dinge wie Geschenke oder Reichtümer verschwenden soll. Nachdem sie von uns gegangen war, wollte ich darum beten, dass sie wieder lebendig wird, aber mein Vater meinte, so etwas wäre nicht richtig“, fügte sie wehmütig hinzu.
„Und Euer Vater?“ Benedick konnte sich diese Frage nicht verkneifen, obwohl er ihr wirklich keine Qualen in Erinnerung rufen wollte.
Doch der Schmerz huschte nur flüchtig über ihr schönes Gesicht und verschwand sofort wieder. „Er ist schnell gestorben, denn sein Pferd hat ihn abgeworfen, und er hat sich das Genick gebrochen. Und ich war inzwischen alt genug, um zu wissen, dass man ihn nicht wieder zum Leben erwecken konnte.“ Sie lächelte traurig, was sie viel älter und weiser erscheinen ließ, als sie war.
Wenigstens ist sie nicht völlig ohne Verstand, dachte Benedick, während das Schweigen zwischen ihnen sich in die Länge zog. Gerade als er anfing, seinen Spott über ihren Aberglauben ein wenig zu bedauern, holte sie tief Luft. „Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit für einen Wunsch. Wie Ihr seht“, sagte sie und schenkte Benedick ihr strahlendes Lächeln, „habe ich mir das für etwas aufgehoben, was wirklich wichtig ist.“
Benedick wäre fast zusammengezuckt. Offenbar hatte die kleine Närrin all ihre kindischen Hoffnungen und Träume in eine Hochzeit gesteckt, die niemals stattfinden würde. Obwohl er sich ein bisschen geschmeichelt fühlte, fand er diesen Wunsch abstoßend. Zum Dreikönigstag würde er ihr nicht nur ein Heim rauben, in dem sie sich wohlfühlte, er würde ihr auch noch ihre kostbarste Illusion zerstören.
Benedick sah weg, da er den Anblick ihres fröhlichen Lächelns nicht mehr ertrug. Früher oder später würde Noel sich den harten Tatsachen des Lebens stellen müssen. Bei Gott, er selbst war erst fünf gewesen, als sein Vater seine Mutter wegen einer
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