Historical Weihnachten Band 6
hungrig, der ihre sanft und wissend.
„Kommt“, sagte sie und legte eine Hand auf seinen Arm. „Ihr habt noch nichts zu Abend gegessen, und Ihr müsst doch bei Kräften bleiben.“
„Wieso? Brauchen wir etwa noch einen weiteren Julklotz?“
Noel lachte. „Ihr nehmt mich auf den Arm, Sir“, sagte sie. Er stutzte. Diese Bemerkung überraschte ihn. Er hatte noch nie mit einer Frau herumgeplänkelt.
Er hatte sein Leben unter rauen Soldaten damit verbracht, Menschen zu töten und manchmal die Burgen anderer Herren zu plündern. Das hatte nichts mit jener Ritterlichkeit zu tun, die Noel sich wahrscheinlich vorstellte.
„Nehmt doch wieder Platz“, sagte sie und setzte sich neben ihn an den Kopf des Tisches. Sofort wurden Käse, Brot und Wein vor ihn hingestellt, und Benedick lehnte sich zurück. Die Wärme tat seinen ausgekühlten Gliedern gut, und er konnte sich endlich entspannen und die festliche Stimmung genießen.
Zwar waren die meisten Bauern inzwischen gegangen, doch einige der Burgbewohner feierten noch, und ihr Lachen hob seine Laune. Das Essen war gut, die Gesellschaft lebhaft, und Noel strahlte neben ihm. Ich könnte mich an so ein leichtes Leben gewöhnen, dachte er, schob den Gedanken aber sofort beiseite.
Er war zu alt, um sich noch ändern zu können.
Trotzdem wollte er die Festtage genießen und lächelte einnehmend, während wieder Geschenke und Küsse ausgetauscht wurden. Er warf seinem Mündel einen Blick zu und fragte sich, wie viele Küsse Noel wohl bekommen haben mochte und von wem. Der Gedanke, zusehen zu müssen, wie sie jeden Tag bis zum Dreikönigsfest zwölf Küsse verteilte, passte ihm gar nicht.
Sein liederlicher Knappe zog eine kichernde Magd unter den Mistelzweig. Benedick konnte nur hoffen, dass sein Mündel sich auf die ganz Jungen und die Alten beschränkte. So etwas Ähnliches wie Eifersucht stieg in ihm auf, doch er unterdrückte das Gefühl. Er wollte sein Mündel nicht begehren. Und er würde ihm auch keine Lektionen mehr erteilen.
„Ich habe ein Geschenk für Euch“, riss sie ihn aus seinen trüben Gedanken.
„Nein“, widersprach er.
„Doch“, sagte sie lachend. Ihre Augen funkelten wie der blaueste See, doch ihr Blick senkte sich tief in den seinen, und er sah hinab auf das, was sie vor ihn hinlegte.
Es war ein Buch.
„Nein“, wiederholte er und starrte das Buch verblüfft an. „Das ist viel zu teuer. Als Euer Vormund untersage ich es Euch, so verschwenderische Geschenke zu machen.“ Er schob das Buch weg.
Noel schob es wieder zurück. „Es hat meinem Vater gehört und mich keinen Heller gekostet.“ Sie lächelte sanft. „Nun müsst Ihr es annehmen.“
Trotz seiner Vorbehalte berührte Benedick den schmalen Band. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie ein Buch besessen und erst als Ritter mühsam lesen gelernt. Seine Finger strichen über den dunklen Einband, und eine Wärme stieg in ihm auf, die nichts mit dem Feuer im Kamin zu tun hatte. Früher hatte ihm außer seiner Rüstung und seinen Waffen nichts gehört, und nun nannte er eine Burg und ein Buch sein Eigen. Benedick war sich nicht sicher, was kostbarer war.
„Nun kommt“, sagte Noel und ergriff seine andere Hand.
„Hört doch endlich auf, dauernd an mir herumzuzerren!“, schimpfte er, weil sie nicht mitbekommen sollte, wie sehr ihr Geschenk ihn berührte. „Ich bin weder ein Kleinkind noch ein Graubart, den ihr herumschubsen könnt.“
Aber wie üblich beachtete Noel seine Einwände nicht im Geringsten. Immer noch mit dem Buch in der Hand ließ Benedick sich von ihr unter den Torbogen führen, wo sie sich unter den Mistelzweig stellte. Sie wollte ihn an sich ziehen, und er hielt entsetzt das Buch vor sich wie ein Schild.
„Ich würde gern meine Küsse bekommen, Sir“, sagte sie zurückhaltend, doch Benedick wollte sich nicht auf den Arm nehmen lassen. Ihre Augen funkelten, und ihre vollen Lippen verzogen sich voller Übermut.
Was hatte sie nur im Sinn? Hatte sie denn gestern Abend ihre Lektion nicht gelernt? Er wusste, dass er sie nie wieder anfassen durfte.
„Davon habe ich genug“, sagte Benedick grob. „Vielleicht solltet Ihr Euch Eure Küsse anderswo holen.“ Er wandte sich ab, doch sie ließ seine Hand nicht los.
„Ich fürchte, Ihr habt mich für die anderen verdorben“, sagte sie leise. Benedick drehte sich langsam zu ihr um, nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.
Sie lächelte beinahe verrucht und drückte seine Hand. „Ich möchte alle zwölf von
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