Historical Weihnachten Band 6
Augenblick eine Anprobe statt, die die Zofe Mary in Erstaunen versetzte. Noch nie zuvor hatte sie bei ihrer Herrin Anzeichen von Koketterie, geschweige denn von Eitelkeit bemerkt. Giselle war zwar immer gut gekleidet, doch Äußerlichkeiten bedeuteten ihr in der Regel nichts.
In den letzten Tagen und Stunden hatte sie nur daran gedacht, wie sie die Gäste unterbringen und den Festsaal dekorieren sollte. Ihre Sorge galt dem Grillfleisch, das innen zart und außen knusprig, aber nicht verbrannt sein sollte, dem Fisch, der frisch gefangen auf den Tisch kommen musste, und den passenden Saucen dazu.
Über das Kleid, das sie anziehen würde, hatte sie sich bis jetzt keine Gedanken gemacht, und eigentlich hatte sie das auch gar nicht nötig. Selbst in einem Jutesack hätte ihre Erscheinung noch etwas Höfisches gehabt, doch nun lagen Kleider, Umhänge, Schals und Kopfschmuck über das Bett verstreut, und erst nach vielen Anproben hatte Giselle sich schließlich für eine rote, tief ausgeschnittene Samtrobe mit einem Unterkleid aus goldfarbener Seide entschieden, das an der Brust gerafft und mit Brokatornamenten verziert war. Die Kappe, die sie gerade anprobierte, war aus dem gleichen roten Samt und sah einfach entzückend aus zu den zwei blonden Zöpfen, die Giselle um den Kopf festgesteckt hatte.
„Findest du sie nicht zu extravagant? Ich möchte nicht, dass alle mich anstarren.“
„Wenn man Euch anstarrt, Mylady, dann bestimmt nicht wegen dieser Kappe. Ihr könnt anziehen, was Ihr wollt, Ihr werdet auf jeden Fall die schönste Frau heute Abend sein. Und Sir Myles“, fügte sie schelmisch hinzu, „wird seine Blicke nicht von Euch abwenden können.“
„Ich werde mich jetzt erst einmal um die Speisen kümmern“, sagte Giselle, ohne auf die Bemerkung ihrer Dienerin einzugehen. „Alles muss reibungslos ablaufen, und Iestyn befürchtet, das Salz könnte knapp werden. Es wäre doch entsetzlich, wenn ich Sir Buxton wegen eines Fässchens Salz heiraten müsste!“
Damit rauschte sie aus dem Zimmer, während Mary kopfschüttelnd die herumliegenden Kleidungsstücke aufsammelte. Wegen eines Salzfasses heiratete man doch nicht. Irgendetwas hatte sie da nicht richtig verstanden.
Am Hohen Tisch saß Sir Myles Buxton gleich zu ihrer Linken, und Giselle entnahm dem Lachen ihres Onkels, dass er anscheinend gerade eine amüsante Anekdote zum Besten gab. Sie konnte sich allerdings nicht auf die launige Geschichte konzentrieren, denn oben auf der Galerie hatte einer der Männer, die Fiedel spielten, offenbar schon zu viel Wein getrunken. Sein Bogen rutschte immer wieder quietschend und kratzend von den Saiten, und er schwankte, während er dem Geländer bedrohlich nahe kam.
Sie musste den Hofdiener suchen und ihn bitten, den Mann ohne großes Aufsehen fortzuschaffen, bevor noch ein Unglück geschah.
Wahrscheinlich hätte sie seinen Zustand schon eher bemerkt, wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, Lady Alice und Lady Elizabeth dabei zu beobachten, wie sie Sir Myles schöne Augen machten.
Nicht, dass es sie besonders interessiert hätte – es war Giselle auch genauso gleichgültig, dass einige der jungen Adeligen versuchten, ihr Interesse zu erwecken. Mit solchen oberflächlichen Plänkeleien konnte sie nichts anfangen, und auch die Blicke, mit denen Sir Wilfrid abwechselnd sie und dann Sir Myles bedachte, verärgerten sie höchstens.
Als sie plötzlich den festen Druck einer warmen Hand auf ihrer spürte, zuckte sie zusammen. „Ja bitte, Sir Myles?“
„Ihr habt ja gar nicht zugehört.“
Sie entzog ihm ihre Hand und versteckte sie in ihrem Schoß. „Das stimmt. Ich habe gerade an etwas anderes gedacht.“
Blitzte da in seinen Augen so etwas wie Verdruss auf? Dann, dachte sie beinahe triumphierend, hat er sich schon entlarvt. „Es war wohl meine Aufsichtspflicht gegenüber den Bediensteten, die mich abgelenkt hat, entschuldigt bitte.“
„Ihr beaufsichtigt die Dienerschaft? Als Burgherrin? Ich bin beeindruckt, Mylady.“
Beeindruckt war sie auch, aber ohne es zu wollen. Man musste doch nicht gleich erröten wegen eines so dahergesagten Kompliments – oder war es, weil ihr plötzlich der volle, weiche Klang seiner Stimme aufgefallen und es ihr fast so vorgekommen war, als flüstere er ihr Liebesworte ins Ohr?
Nein, davon wollte sie überhaupt nichts hören, und es gefiel ihr auch gar nicht, zu sehen, dass ihr Onkel sich gerade angeregt mit seinem Tischnachbarn unterhielt und ihr die
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