Historical Weihnachtsband 1990
seiner Worte und jede seiner Gesten. Ohne darüber nachzudenken, hatte sie begonnen, einen Hort von kostbaren Augenblicken aufzubauen für die Zeit, wenn er wieder fort war.
Damit wollte sie an langen Winterabenden und im zarten Zwielicht des Frühlings versuchen, die Sehnsucht zu besänftigen, die sie nie zu verlassen schien.
Hinter ihr fing Grandfather an zu schnarchen. Mary trat ans Bett und schaute auf das nun entspannte Gesicht hinab. Schmerz und Alter schienen ihre Furchen bis auf die Knochen eingegraben zu haben. Doch noch vieles mehr stand in diesen Zügen geschrieben, Erfahrung und Freude, der Erfolg eines ganzen Lebens. Was werde ich haben, wenn ich in seinem Alter bin? fragte sie sich. Vielleicht nur die Befriedigung zu wissen, daß ich geholfen habe.
Nun, wenn es so war, mußte es genügen. Mary berührte die knorrigen Finger, die er auf der Steppdecke liegen hatte. Dann verließ sie auf Zehenspitzen leise das Zimmer, um seine Ruhe nicht zu stören.
3. KAPITEL
„Mr. Gates, Sie laufen genausogut Schlittschuh, wie Sie tanzen." In Annabella Woodcrosses grünen Augen stand ein kühler, anerkennender Blick. „Erzählen Sie mir nicht, daß Sie in Boston Zeit für solche Dinge haben."
„Wenn ich eine so schöne Partnerin wie Sie hätte, würde ich die Zeit sicherlich finden", entgegnete Gates gewandt und schwang Annabella nach links, um zwei Jungen Platz zu machen, die über den zugefrorenen Teich rasten. Der Schnee, der bei Jacks Ankunft zwei Tage zuvor gefallen war, lag etwa zwanzig Zentimeter hoch, und die umliegenden Büsche und Bäume waren mit einer dicken Schneedecke verziert. Da es Samstag war, hatten einige junge Männer mit Schaufeln und Besen bewaffnet die Oberfläche des Weihers freigemacht. Nun, kurz vor Mittag, hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Die Mädchen zeigten den jungen Männern, wie gut sie Kreise ziehen konnten. Die Männer ihrerseits taten ihr Bestes, um mit Tempo und Wagemut zu beeindrucken. Auf dem restlichen Platz glitten Paare Hand in Hand dahin.
Annabcila lächelte über Jacks Ritterlichkeit. „Mr. Gates, Sie sind galant. Und ich kann nicht glauben, daß sich in ganz Boston kein hübsches Mädchen findet."
„Eines vielleicht", räumte er ein und erwiderte ihr Lächeln. „Aber ich glaube, ich bin schon seit meiner Schulzeit nicht mehr Schlittschuh gelaufen. Damals war ich genausooft auf dem Eis, wie ich über meinen Büchern gesessen habe. Und einige Dinge verlernt man glücklicherweise nie." Wieder schwang er sie in einen weiten Bogen, und ihre Röcke wehten anmutig im Wind, wobei sich eine großzügige Rüsche und darunter hübsche Fußknöchel zeigten.
Annabella trug ein grünes Kleid aus Samt, das wahrscheinlich passend zu ihren Augen gewählt war, vermutete Jack Gates. Dazu paßte ausgezeichnet das Hütchen, das neckisch auf ihren Locken saß. Zweifelsohne bot sie den hübschesten Anblick auf dem Eis, und die Haltung ihres Kopfes verriet Gates, daß sie es wohl wußte. Laut Gray war ihre Familie die reichste der Stadt. Gates hatte am Vorabend und am Abend davor mit ihr getanzt. Dennoch hätte sie keine Ansprüche an ihn gestellt, die länger dauerten als der Urlaub. In Boston hatte er einen eindeutigen Kurs eingehalten, und das gedachte er hier genauso zu tun. Hübsche Frauen waren ein Vergnügen, doch die Ehe war kein Bestandteil seiner derzeitigen Pläne.
Annabella lachte, als ihr Partner sie wieder zu sich heranzog. Ihr Lächeln war gleichzeitig mädchenhaft und wissend. „Gefallen Ihnen Ihre Ferien? Was halten Sie denn von den Hillyers? Finden Sie nicht, daß Sie ein höchst eigenartiger Haufen sind?"
„Eigenartig?" wiederholte er. Ihre Wortwahl erstaunte ihn.
„Natürlich nicht Gray oder Eveline, die sind so normal wie Sie oder ich, obwohl es Eveline in bezug auf Männern gern übertreibt. Die Mutter allerdings ist etwas anders. Jeder weiß, daß sie lieber mit ihrem toten Gatten spricht als mit den Lebenden."
Sie lachte, und es gelang ihm sogar, ein Lächeln aufzusetzen, doch echt war es nicht.
„Viele Menschen glauben an Geister", sagte er und war von seiner eigenen Schärfe überrascht. „Wahrscheinlich glauben mehr Menschen daran, als wir allgemein annehmen. Und wenn es sie glücklich macht. . ." Noch während er sprach, erinnerte er sich an die Unterhaltung mit Mary Hillyer.
„Oh, sie ist harmlos", stimmte Annabella zu. „Harmloser als dieser alte Wüterich, ihr Schwiegervater. Und dann ist da natürlich auch noch Mary, obwohl man an
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