Historical Weihnachtsband 1990
stand. Mit einem leisen Schrei wirbelte sie herum und durchquerte den Raum, und zu seiner Überraschung entdeckte er, daß
— sehr geschickt versteckt — in die Wandtäfelung eine Tür eingelassen war.
Durch diese verschwand sie ohne ein weiteres Wort.
Später am Tage fand sie Travis in ihrem Arbeitszimmer vor, den er zu seinem Büro gemacht hatte. Isabelle trug Haube und Umhang, und ihre Hände steckten in einem wärmenden Muff.
„Sie sagten, ich könne gehen, wohin ich will, Captain. Ich möchte das Haus jetzt verlassen."
Sein Herz hämmerte und hüpfte, als er von seiner Arbeit aufsah. Es wäre das beste, wenn sie ging. Er würde aufhören zu träumen und sich Gedanken zu machen, er würde sich besser auf den Krieg konzentrieren können.
Travis wollte aber nicht, daß sie ging. Zwar würde er niemals wissen, wann sie das nächste Mal mit einem Messer auf ihn losgehen würde, doch war er bereit, sich dieser Gefahr zu stellen, denn dies war ein Krieg, an dem er seinen Spaß hatte.
„Ja, das können Sie", sagte er.
„Ich will Nachbarn besuchen."
„Ach? Sie bleiben also nicht hier, um Ihr Eigentum zu verteidigen?" Er wollte sie provozieren, dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Sie senkte die Wimpern und errötete gar lieblich. Sie denkt an den Morgen zurück, dachte er und erfreute sich ihrer Scham genauso, wie er die durchaus unschicklichen Momente genossen hatte, die sie miteinander geteilt hatten.
Isabelle sah ihn wieder an. „Keine Sorge, Captain. Ich komme wieder. Ich habe nur keine Lust, Weihnachten mit dem Feind zu verleben."
Er senkte den Blick. Sie wollte wiederkommen. Er nahm ein Formular aus der Schublade und begann zu schreiben. Dann sah er auf. „Ich weiß Ihren Vornamen nicht."
„Isabelle."
Travis starrte sie an. „Isabelle", murmelte er mit einem seltsamen, wehmütigen Unterton. Verärgert kritzelte er drauflos. „Isabelle Hinton. Nun, Miss Hinton, wo wohnen diese Nachbarn?"
„Weniger als eine Meile jenseits des Ortes."
Travis nickte. „Sergeant Sikes und ein weiterer Soldat werden Ihnen als Eskorte zugeteilt. Wie lange bleiben Sie?"
Isabelle zögerte. „Bis zum zweiten Weihnachtstag."
„Sergeant Sikes wird Sie wieder abholen."
„Ich wüßte nicht, warum das erforderlich wäre."
„Ich halte das für äußerst erforderlich. Guten Tag, Miss Hinton."
Sie drehte sich um und ging.
Der erste Weihnachtstag zog grau und kalt herauf. Ruhelos ging Travis mit einem Schrotgewehr in den Schnee hinaus und brachte zu seiner nicht geringen Freude einen gewaltigen Rehbock zur Strecke, denn es bedeutete Fleisch für eine ganze Reihe von Abenden.
Peter und die anderen Hausangestellten legten mittlerweile eine fast freundliche Haltung an den Tag. Bevor man sich an den Festschmaus machte, wurde ausführlich und feierlich gebetet, und das Mahl wurde in allgemein guter Stimmung verzehrt.
Travis versuchte dabei mitzuhalten, aber mit den Gedanken war er woanders, und deshalb verließ er, sobald er es einrichten konnte, die Gesellschaft seiner Soldaten und zog sich in die Stille seines Arbeitszimmers zurück. Er wußte nicht mehr, wann dieses Weihnachtsfest so düster geworden war. Oder doch.
Es war grau und leer geworden, als Isabelle Hinton gegangen war.
★
Travis hörte sie nicht zurückkommen. Er hatte den Tag brütend über Karten von Bergen und Tälern verbracht und all die Stellen markiert, wo General „Stonewall"
Jackson der Unionsarmee so übel mitgespielt hatte. Ein Bote war aus Washington eingetroffen und hatte außer neuen Befehlen jede Menge nachrichtendienstlicher Informationen mitgebracht, von denen Travis freilich nur die Hälfte für bare Münze nahm.
Bei Einbruch der Nacht war er müde geworden vom ständigen Kommen und Gehen sowie von den Neuigkeiten über das Kriegsgeschehen. Peter hatte ihm eine Schüssel Reh-Eintopf und eine Tasse Kaffee zubereitet, und das war seine einzige Mahlzeit des Tages gewesen. Erschöpft ging Travis in sein Zimmer hinauf, legte den Kavallerierock ab und wusch das Gesicht.
Auf einmal hörte er verdächtige Geräusche aus dem Nebenraum.
Sein Herz schlug schneller, doch dann zog er seine Augen argwöhnisch zusammen.
Er hatte nicht vergessen, wie Isabelle in jener ersten Nacht über ihn hergefallen war, auch wenn sie nicht so weit gegangen war, ihm regelrecht die Kehle durchzuschneiden. Leise durchquerte er das Zimmer und fragte sich, was sie wohl vorhaben mochte. Er fand den Verschluß der Geheimtür und drückte ihn langsam,
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