Historical Weihnachtsband 1992
sekundenlang vor den Augen, während sie sich, von seinen Armen umschlossen, auf dem Eis drehte.
Nach einer Weile hob Cornelia den Kopf. Sie erblickte durch die kahlen Äste und Zweige hindurch den nächtlichen Himmel und die Wolken, die am Halbmond vorbeizogen. Als Kind hatte sie davon geträumt, auf einer Mondsichel zu schaukeln, höher und höher, bis hinauf zu den Sternen. In diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, daß sich ihr Traum erfüllte.
Peters kräftiger Arm ruhte auf ihrem Rücken, was ihr ein Gefühl von Geborgenheit gab. Wie lange war es her, seit sie etwas Derartiges empfunden hatte? Sie hatte sich daran gewöhnen müssen, sich auf sich selbst zu verlassen. Besonders deshalb, weil sie sich nicht um die gesellschaftlichen Regeln gekümmert hatte, denen zufolge es ihre vordringlichste Aufgabe gewesen wäre, sich einen passenden Ehemann zu suchen.
Außerdem hatte sie sich verantwortlich gefühlt, ihre Familie vor einer finanziellen Katastrophe zu bewahren. Cornelia konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wann sie sich zum letztenmal ganz entspannt hatte gehen lassen.
Die Erfahrung in Peters Armen war schön und erschreckend zugleich.
Unauffällig betrachtete sie ihn von der Seite. Zweifellos war er ein blendend aussehender Mann, dem jeder weiche Zug fehlte. Seine Nase war leicht gekrümmt, was möglicherweise von einem Bruch herrührte. Die kleine weiße Narbe auf seiner linken Wange sah wie ein verheilter Messerstich aus. Wenn er lachte, bildeten sich in den Augenwinkeln Fältchen, die ausgesprochen anziehend wirkten. Er roch weder nach Pomade noch einem Rasierwasser, sondern nach einer herben Seife und feinen Zigarren. Er strömte einen sehr maskulinen Duft aus, der ihr ausnehmend gut gefiel.
Peter, ein ausgezeichneter Schlittschuhläufer und auch ein hervorragender Tänzer zugleich, bewegte sich mit der natürlichen Anmut eines Athleten. Er beherrschte das Eis, so wie er alles andere beherrschte.
Ein leichtes Lächeln umspielte jetzt ihre Lippen.
Peter bemerkte es und verlangsamte die Schritte. „Worüber amüsieren Sie sich?"
„Über mich selbst", antwortete Cornelia.
Ein Schatten flog über sein Gesicht. Er ahnte, daß sie ihm nicht mehr verraten würde. Und er wollte doch soviel wie möglich über sie wissen. Sein Wunsch, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, überraschte ihn selbst. Was war bloß mit ihm los? Da er im allgemeinen keine Unsicherheit kannte, störte sie ihn beträchtlich.
„Wie schön für Sie", bemerkte er spöttisch. „Denn dann besteht wenigstens nie die Gefahr, daß Sie sich langweilen."
Cornelia ignorierte seine Ironie. „Ich langweile mich tatsächlich nie", erklärte sie. „Es gibt doch immer etwas zu tun."
„Etwas Erbauliches und Bereicherndes, wie ich annehme."
„Gütiger Himmel, nein." Sie lachte bei dieser Vorstellung.
„Ein solcher Engel bin ich wirklich nicht. Ich meinte lediglich, daß einem das Leben genügend Beschäftigung bietet. Finden Sie das nicht auch?"
Das war genau seine Einstellung. Peter wunderte sich sehr, daß sie ebenso dachte.
Seiner Erfahrung nach bestand das Dasein der meisten jungen Damen aus purem Müßiggang.
Miss Neville schien anders zu sein. Seine Hoffnung, sich durch das Zusammensein mit ihr von seiner Besessenheit heilen zu können, schwand. Jeden Augenblick, den er sie länger im Arm hielt, begehrte er sie mehr.
Das Orchester spielte, die Lampions leuchteten, der Mond stieg am Himmel auf, und Cornelia und Peter glitten wie verzaubert über die Eisfläche. Obwohl sich weitere Paare ihnen zugesellt hatten, waren sie sich deren Anwesenheit nicht bewußt. Erst als der Gong das Supper ankündigte, kehrten sie widerstrebend in die Wirklichkeit zurück und verließen den zugefrorenen Teich.
In diesem Moment fiel Cornelia auf, daß nicht alles so war, wie es sein sollte. Noch ehe sie sich die Schlittschuhe abgeschnallt hatte, bemerkte sie die haßerfüllten Blicke junger Damen.
Nicht alle jedoch zeigten ihr, daß sie mit ihr unzufrieden waren. Ihre Brüder amüsierten sich zu gut, um zu registrieren, was um sie her vor sich ging. Ihre Mutter, die Cornelia erst nach einigem Herumschauen entdeckte, unterhielt sich angeregt mit einem bärtigen Herrn, der geradezu an ihren Lippen hing.
Mrs. Lowell empfing Peter und Cornelia mit unverhohlener Mißbilligung.
„Mein lieber Junge", sagte sie zu ihrem Sohn, „wie reizend von dir, daß du dich daran erinnerst, daß wir noch mehr Gäste haben. Miss Longines wird
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