Historical Weihnachtsband 1992
deine Partnerin beim Supper sein. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen wollen, Miss Neville."
Cornelia war auf etwas Derartiges vorbereitet. Unter ähnlichen Umständen hätten zum Beispiel ihre Brüder getan, was man von ihnen erwartete. Nur war Peter Lowell keine siebzehn mehr, und wenn er es gewesen wäre, hätte es sein Temperament nicht zugelassen, einem solchen Befehl seiner Mutter zu gehorchen.
Er sah sie mit einem Blick äußersten Erstaunens an, als könnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was in ihrem Kopf vor sich ging. „Da irrst du dich", erwiderte er kurz angebunden.
Die wenigen Worte genügten. Cornelia beobachtete fasziniert, wie seine Mutter zusammenzuckte. So wenig Mrs. Lowell die Situation gefiel, so klug war sie, sich ihrem energischen Sohn nicht zu widersetzen.
„Sind Sie immer so bestimmt?" fragte Cornelia, während sie zu den Tischen gingen, wo das Essen serviert wurde.
Er überlegte eine Weile, bevor er antwortete. „Nur wenn es notwendig ist."
„Ihre Mutter hat es gut gemeint. Sie denkt, daß ich einen schlechten Einfluß auf Sie ausübe."
„Tun Sie das denn?" erkundigte er sich spöttisch.
„Das weiß ich nicht. Da ich nie irgendwelchen Einfluß hatte, bin ich mir nicht sicher, ob ich dazu imstande bin."
„Ich tue ständig alles Mögliche, was ich nicht tun sollte — zumindest nach den geltenden, gesellschaftlichen Regeln. Es ist gar nicht so schwer, wenn man einmal gelernt hat, wie man das anstellen muß."
„Tatsächlich? Ich stelle mir vor, daß man dazu unabhängig von der Meinung der Leute sein muß."
Cornelia kannte sich selbst nicht mehr wieder. Kaum zu fassen, daß ausgerechnet sie mit dem verachtenswerten Peter Lowell plauderte. Andererseits fiel es ihr schwer, sich überhaupt noch daran zu erinnern, weshalb sie ihn eigentlich verachtenswert gefunden hatte.
Beim Supper saßen die Gäste an sorgfältig gedeckten Tischen, auf denen silberne Leuchter mit flackernden Kerzen standen. Etwas entfernt von den Tischen waren Feuerstellen errichtet worden. Die Flammen verströmten Hitzewellen, die verhindern sollten, daß die Gäste froren, während sie sich das Menu schmecken ließen. Es bestand aus Boeuf Wellington, Ente in Kirschsauce, Wintergemüsen, verschiedenen Käsesorten und einer Auswahl von Desserts, eines delikater als das andere. Der Champagner floß in Strömen, zu den Hauptgängen gab es einen schweren Rotwein.
Cornelia hatte wenig gegessen und noch weniger getrunken. Das nervöse Kribbeln in ihrem Magen verstärkte sich, je weiter der Abend fortschritt. Es war schwer zu ertragen, so viele Blicke prüfend auf sich gerichtet zu wissen, auch wenn die meisten der Anwesenden sehr diskret waren.
Der Aufwand, der an diesem Abend getrieben wurde, überraschte Cornelia. Central Park war schließlich ein der Öffentlichkeit zugänglicher Ort. Mrs. Lowell hatte den beliebtesten Teil davon für sich in Anspruch genommen, als ob er ihr gehörte.
Natürlich war Cornelias Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß große, kräftige Männer die Gegend um den Teich herum abschirmten. Jeder, der an diesem Abend Schlittschuh laufen wollte und keine Einladung vorweisen konnte, mußte ein Stück weiter zum Boathouse Lake gehen oder sein Vorhaben ganz aufgeben.
Die Macht, die die Lowells so selbstverständlich zur Schau stellten, zeigte deutlich, wie sehr sie sich von den anderen New Yorkern unterschieden. Nicht einmal Mrs.
Astor wäre es in den Sinn gekommen, ein ähnliches Fest zu veranstalten.
Schließlich war das Supper vorbei, die Diener fingen an aufzuräumen, und die ersten Gäste brachen auf. Einige der Lampions waren schon erloschen. Schatten fielen über die Eisfläche des Teiches.
Cornelia tat es leid, daß der Abend zu Ende ging. Sie wappnete sich gegen das, was unweigerlich folgen mußte. Die Anziehungskraft, die Peter Lowell auf sie ausübte, würde vermutlich nicht länger anhalten als sein plötzliches Interesse für ihre Familie.
Zugegeben, er war ihnen gegenüber äußerst freundlich gewesen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Es handelte sich sicher nur um eine Laune von ihm. Er würde die Nevilles vergessen, sobald ihn etwas anderes mehr beschäftigte. Jedenfalls versuchte Cornelia, sich das einzureden.
Peter stand auf, um sie zu ihrem Wagen zu geleiten. Die Mietkutsche stand irgendwo in der Schlange der Gästefahrzeuge. Ihre Mutter und Brüder schienen schon vorausgegangen zu sein. In der Gruppe, die sich noch am Teich aufhielt, war nichts von
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