Historical Weihnachtsband 1992
gemacht. Jetzt sah es so aus, als ob sie sich unnötig gesorgt hätte. Der Hund würde in einem prächtigen Haus an der Fifth Avenue leben und sich so wohl wie noch nie in seinem Leben fühlen.
„Wäre ein reinrassiger Spaniel mit Stammbaum nicht passender?" fragte Cornelia neckend. „Vielleicht einer von der Rasse, die Prinz Edward bevorzugt." Der Erbe der britischen Krone war für seine Vorliebe für King Charles Spaniels bekannt und ging ohne diese Hunde nirgendwohin. Einige von ihnen hatte er vor einigen Monaten sogar zu einem Besuch in New York mitgebracht. Seitdem redeten die Leute über den
Prinzen und seinen Hofstaat von Spaniels.
„Das sind Kläffer, die einem ewig vor den Füßen herumlaufen", wehrte Peter ab.
„Keine Wade ist vor ihnen sicher. Da lobe ich mir einen richtigen, klugen Bastard, der sich in der Welt zurechtfindet."
Cornelia fing an, den verachtenswerten Peter Lowell zu mögen. Es ärgerte sie beinahe, daß er so nett war.
Vor Peters geistigem Augen erschien ein Bild. Ein zottiger grauer Hund rannte durch das Boudoir seiner Mutter, sprang auf die Sessel mit den Seidenkissen und gegen die Brokattapeten, wobei er das eine oder andere Tischchen umwarf.
Schnupftabakdosen und Figurinen aus Porzellan flogen in hohem Bogen durch die Luft. Diese Vorstellung war so komisch, daß er unwillkürlich schmunzelte.
So sah Mrs. Lowell ihren Sohn, als sie zufällig in seine Richtung schaute. Er stand neben einer schönen jungen Frau mit einem blauen Kostüm und einer kecken Kappe auf den kastanienbraunen Locken, die Wangen rosig angehaucht. Die drei anderen Personen, die zu der Gruppe gehörten, bemerkte sie kaum. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der jungen Dame und ihrem Sohn.
Peter wirkte anders als sonst, jünger und entspannter, ja sogar glücklich. Nicht etwa, daß er sonst einen unglücklichen Eindruck machte. Derartige Gefühle zeigte er gewöhnlich nicht. Die Privilegien, die er genoß, und der Luxus, in dem er lebte, konnten selbst einen anspruchsvollen Mann nicht gleichgültig lassen. Und doch ließ sich nicht leugnen, daß er allem Anschein nach plötzlich etwas gefunden hatte, was ihm eine außerordentliche Freude bereitete.
Georgette Lowell hätte gern geglaubt, daß es die Party war, die sie mit ihrer gewohnten Sorgfalt arrangiert hatte, oder noch besser eine der hüschen jungen Damen, die sie seinetwegen eingeladen hatte. Doch das versuchte sich Mrs. Lowell nicht einmal einzureden. Vornehm und kühl, hatte sie ein solides Gewissen, das zwar kleine Falschheiten zuließ, aber keine Lügen.
Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Georgette Lowell ahnte den Grund für Peters ungewohnte Heiterkeit: Miss Cornelia Nevilles Anwesenheit. Es darf erst gar nicht zu einer Affäre kommen, dachte Georgette Lowell. Sie holte Luft, so tief das Mieder es zuließ, und begab sich zu der Gruppe.
Da sie auf Schritt und Tritt von Gästen aufgehalten wurde, die ein paar Worte mit ihr wechseln wollten, dauerte es einige Minuten, bis sie die Nevilles und ihren Sohn erreichte. Peter sah sie kommen. Der Überraschungseffekt ging daher verloren, doch auf den konnte Georgette Lowell verzichten. Gebieterisch neigte sie den Kopf und ignorierte jeden außer ihren Sohn, den sie mit fester, klarer Stimme ansprach:
„Peter, mein Lieber, Miss Longines ist gerade eingetroffen und freut sich sehr darauf, dich zu sehen. Würdest du wohl für einen Augenblick mitkommen und sie begrüßen?"
Melanie Neville hatte Georgette Lowell nach allem, was sie über sie in Zeitungen und Frauenmagazinen gelesen hatte, immer bewundert. Mrs. Lowell galt nicht nur als Vorbild, was Stil und Eleganz betraf. Sie war auch eine bekannte Mäzenin der Künste und unterstützte einige Colleges für Frauen. Maler, Komponisten, Schrifsteller und Gelehrte trafen sich zweimal im Monat in ihrem Salon. Sie wurde regelmäßig um ihre Meinung gefragt, ob es sich nun um die Werke eines jungen Künstlers oder um die Rolle der Frauen im kommenden Jahrhundert handelte.
Von der vielgepriesenen Mrs. Lowell hätte Melanie Neville niemals unhöfliches Benehmen erwartet, und doch hatte sie es gerade eben selbst erlebt.
Zwar waren nicht offen unhöfliche Worte gefallen. Doch die Beleidigung war so wirkungsvoll gewesen, weil sie so geschickt verpackt worden war. Man näherte sich nicht einer Gruppe von Leuten und redete ein einzelnes Mitglied an, ohne die anderen auch nur im mindesten zu beachten. So benahmen sich Snobs Menschen der unteren
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