Historical Weihnachtsband 1992
Blair und ihren Ländereien so beeindruckt war, daß er ihr nachstellte, obgleich er verheiratet war?
Oder er dachte daran, den absurden Plan zu verfolgen und Miss Duncans Bekanntschaft zu pflegen, um Blair mit einem Neffen zu verkuppeln? Weder die eine noch die andere Möglichkeit paßte Cameron, und zielstrebig ging er auf Miss Duncan zu. Erst kurz hinter ihr verlangsamte er den Schritt, setzte eine gleichgültige Miene auf und blieb stehen, ohne von Miss Duncan bemerkt zu werden.
„Ich glaube, Sie feiern Silvester als das eigentliche Fest dieser Zeit", äußerte soeben Lady Haverbrook. „Wie sonderbar!"
„Aber gewiß ist es eine sehr fröhliche Angelegenheit", warf ihr Gatte ein, als Miss Duncan verstimmt die Stirn krauste. Dann sah er den Earl of Lindsay, dessen starre Miene, den mordlüsternen Ausdruck in den Augen, und lächelte. Der Abend versprach, aufregend zu werden.
Blair wußte, daß die Comtess of Haverbrook sich herzlich wenig für schottisches Brauchtum interessierte, und sagte kühl: „Natürlich zieht jeder die eigenen Traditionen allen anderen vor. Deshalb begreife ich nicht, warum Sie in den Highlands bleiben, statt nach England zurückzukehren."
„Ich denke ebenso", bekannte Lady Haverbrook und warf dem Gatten einen scharfen Blick zu. „Doch die Herren wollten es so haben."
„Aber, Liebste, du weißt genau, warum wir diesmal das Fest hier verbringen. Wir wollen versuchen, den Halunken zu fangen, der uns alle ausplündert", erklärte Lord Haverbrook und versuchte, seine verdrossene Gemahlin zu beschwichtigen.
„Ich hasse den Unbekannten!", fuhr Lady Estella schmollend fort. „Wenn es ihn nicht gäbe, wären wir jetzt in London und könnten Weihnachten in dem glanzvollen Rahmen feiern, den wir gewohnt sind!"
Miss Duncan enthielt sich einer scharfen Antwort. Wenn Lady Haverbrook in London ein noch kostbarer eingerichtetes Haus besaß als dieses, dann konnte sie sich wohl den Schaden leisten, den der weihnachtliche Wohltäter ihnen zufügen mochte.
Außerdem war er ein Volksheld und keineswegs nur ein gewöhnlicher Verbrecher, der seine Beute mit den Armen von Glenmuir teilte. Natürlich wußte Blair, daß sie diese Gedanken nicht aussprechen durfte, da sie hoffte, daß der ein oder andere Engländer einige der Einheimischen in Dienst nehmen würde.
„Ach, Liebste", sagte Lord Haverbrook grimmig, „vielleicht hilft die auf den Kopf des Räubers ausgesetzte Belohnung, ihn zu verhaften. Doch genug von diesem Dieb! Wir wollen uns die Weihnachtsfreude nicht durch ihn verderben lassen, nicht wahr, Cameron?"
Blair Duncan erblaßte bei der Nennung des Namens.
„Ganz und gar nicht", antwortete der Earl of Lindsay ruhig. „Guten Abend, Miss Duncan. Welch angenehme Überraschung, Ihnen hier zu begegnen. Hätte ich das geahnt, wäre ich viel früher aus dem Spielsalon gekommen."
„Warum hätten Sie auf Ihr Vergnügen verzichten sollen?" fragte Miss Duncan sanft, doch ihr Tonfall verbarg keineswegs die beabsichtigte Kränkung.
„Ach, ein Spiel ist wie das andere", gab Lord Lindsay leise zurück und bemerkte Lord Haverbrooks amüsiertes Lächeln. „Im Augenblick freilich bin ich dem Verhungern nahe. Wir gehen doch bald zu Tisch, Harry, oder? Wie spät ist es eigentlich?"
Lord Haverbrook griff nach der Taschenuhr, ehe ihm einfiel, daß sie sich nicht an ihrem Platz befand. „Da mußt du einen anderen fragen", sagte er mürrisch. „Meine Uhr ist letzte Nacht verschwunden."
„Hast du sie verlegt?" stichelte Lord Lindsay und genoß das Gefühl, sich an ihm gerächt zu haben. Harry hatte nicht nur eine Belohnung für die Ergreifung des Diebes ausgesetzt, sondern auch noch Blair Duncan eingeladen, als sei es ein leichtes, sie zu erobern.
„Nein", murmelte Lord Haverbrook mürrisch. „Allem Anschein nach ist mir die Uhr gestohlen worden."
„Gestohlen? Der Räuber hatte doch nicht etwa die Frechheit, in dein Schlafzimmer einzudringen?" fragte Cameron, Earl of Lindsay, und brachte es fertig, eine verdutzte Miene zu machen, obwohl er sich in Wirklichkeit über Harrys Wut freute. Es geschah Harry recht! Er hatte sich überall gerühmt, er habe das Schmuckstück mit dem Geld bezahlt, das er durch die Vertreibung von zwei Pächterfamilien eingespart hatte.
Selbst wenn er den materiellen Wert leicht verschmerzte, wog die ihm erteilte Lektion viel schwerer. „Wie unangenehm!" fügte Lord Lindsay scheinheilig hinzu, nachdem der Freund bedrückt genickt hatte. „Nein, der Kerl muß
Weitere Kostenlose Bücher