Historical Weihnachtsband 1992
ins Schloß fiel, und nur noch Blair und Cameron anwesend waren, erinnerte sie sich jäh der haarsträubenden Lügen, die er erzählt hatte, und an den eigentlichen Grund, warum sie sich in der verfallenen Jagdhütte befand. Cameron war der Dieb. Er hatte sich nicht nur an fremdem Eigentum vergriffen, sondern ihren guten Ruf in Gefahr gebracht. Blitzschnell entwand sie sich seinen Armen und vergaß die Versuchung, der sie beinahe wieder erlegen war. „Du bist der gemeinste, unmöglichste und abscheulichste Mensch auf Erden! Wie konntest du diese himmelschreienden Lügen über uns verbreiten?" sagte sie wütend. „Und selbst wenn es außer dir keinen Mann gäbe, würde ich dir mein Wort nicht geben. Ich denke gar nicht daran, und wenn du dich auf den Kopf stellst!"
„Vorsichtig, Liebste, sag so etwas nicht! Das Schicksal hat manchmal eine sehr sonderbare Art, uns beim Wort zu nehmen, besonders dann, wenn wir es am wenigsten erwarten. Ich warne dich, Blair", mahnte Cameron unbeeindruckt von ihrem Zornesausbruch. „Außerdem scheint mir, daß deine Geschichte vom einsamen Weihnachtsspaziergang im Mondschein nicht recht angekommen ist.
Wäre ich einige Minuten später gekommen, hätten Enright und Fairfax dich in Gewahrsam genommen, um dich vor den Friedensrichter zu zerren. Was hast du überhaupt hier gesucht?"
„Friedensrichter? Ich bin nicht schuldig! Lord Haverbrooks Uhr lag auch nicht auf meinem Schreibtisch, zwei Tage, nachdem sie ihm gestohlen wurde", entgegnete Blair und warf den Kopf in den Nacken. „Im übrigen wollte ich den unbekannten Wohltäter retten. Jetzt weiß ich allerdings nicht, warum ich mich um ihn sorgte."
Cameron schüttelte bedauernd den Kopf und überlegte, was jetzt noch zu tun sei. Wie einfach hätte das Leben doch sein können! Warum gab sie nicht einfach zu, daß sie beide zusammengehörten, und ließ es dabei bewenden? Unter den gegebenen Umständen war es nicht ratsam, ihr die Wahrheit anzuvertrauen. Nur zu leicht konnte man sie als seine Komplizin ansehen. Außerdem konnte sie, wenn sie wütend wurde, imstande sein, ihn den Nachbarn auszuliefern, statt ihm wegen seiner Barmherzigkeit Beifall zu klatschen.
„Nun? Welche glaubwürdige Erklärung hast du denn, warum Lord Haverbrooks Uhr sich bei dir befand? Erzähle mir bloß nicht, er habe sie beim Kartenspiel an dich verloren und nicht gewagt, es seiner Frau zu gestehen!" höhnte Blair und war doch enttäuscht, daß Cameron sich keine Mühe gab, sich zu verteidigen. Sie hatte nie seine Entschlossenheit bezweifelt, zur Wahrheit zu stehen, ohne nach den Folgen zu fragen. Warum also zögerte er? Wenn er nicht bereit war, das Geheimnis mir ihr zu teilen, wie konnte sie ihm trauen? In der Kälte spürte sie noch immer seinen Mund auf ihrem, und die Erinnerung, daß Cameron sie in den Armen gehalten hatte, drohte sie zu überwältigen. War war nur mit ihr los? Wenn er jetzt nicht bald ein Wort sagte, fürchtete sie, erneut der seltsam aufreizenden Stille zu erliegen. „Du wirst dir doch eine bessere Geschichte ausdenken können!" sagte sie herausfordernd.
„Es ist die Wahrheit, Blair", behauptete er, griff nach ihrer Hand und streichelte die Innenfläche. „Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Es mag dir aufgefallen sein, daß Haverbrook einen bedauerlichen Hang zum Alkohol hat. Er kommt täglich auf zwei, drei Cognacs bei mir vorbei. Bei seinem letzten Besuch muß er die Uhr liegenlassen und es vergessen haben. Ich habe sie erst am Abend bemerkt, bevor du sie mir entwendet hast."
„Ich wollte sie ihm zurückgeben", verteidigte sich Blair, und das Blut stieg ihr in die Wangen. „Wie, wußte ich freilich nicht, ohne mich selbst in Verdacht zu bringen . . .
oder dich."
Cameron schwieg einen Moment, hob sie unvermutet hoch und schwang sie im Kreis. „Sieh an, Blair! Du liebst mich ja
doch! Ich schwöre dir, daß du mein bist, ehe das neue Jahr begonnen hat."
„Und ich schwöre dir, daß du verrückt bist, wenn du das glaubst. Setz mich sofort ab und laß mich gehen!" Er gehorchte, und rasch ordnete sie die Röcke. Aber sie gestand sich ein, daß sie nicht in die Leere von Duncan House zurückkehren wollte.
Und doch konnte sie sich selbst nicht trauen, solange er in der Nähe war. Sooft das Licht sich in seinen Augen spiegelte, hätte sie sich am liebsten wieder in seine Arme geworfen und in den Tiefen seines unergründlichen Blickes verloren.
„Gut, ich werde dich nach Hause bringen. Ich habe mein Pferd
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