Historical Weihnachtsband 1992
sich recht vielversprechend. Aus dieser Überzeugung beschloß Cameron, doch noch nach Duncan House zu reiten. Blair konnte nicht mehr tun, als ihn nicht mehr zu empfangen. Das würde sie jedoch nicht tun, es sei denn, er hatte den Ausdruck in den tiefblauen Augen falsch gedeutet.
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Mrs. Brown leistete natürlich Widerstand, als Miss Duncan sie bald zu Bett schickte.
Aber Blair zog es vor, noch eine Weile still beim langsam niederbrennenden Feuer zu sitzen und bei einer Tasse Tee über Cameron nachzudenken. Jedesmal, wenn sie der Meinung war, sie hätte ihn durchschaut und sein Rätsel gelöst, handelte er so, daß sie von neuem vor tausend Fragen stand.
So war nicht zu erwarten gewesen, daß er ihr zuliebe in der Hütte lügen würde.
Andererseits hatte er es wohl aus Selbsterhaltungstrieb getan, um die Aufmerksamkeit der anderen von dem Verdacht abzulenken, es könnte sich bei ihm um den gesuchten Dieb handeln. Und die Angelegenheit mit Lord Haverbrooks Uhr war immer noch nicht erledigt, auch wenn er jede Beschuldigung zurückwies.
Ausgesprochen eigenartig war hingegen, daß die Menschen, bei denen sich der Wohltäter besonders freigiebig gezeigt hatte, ausgerechnet jene waren, um die sich Blair am meisten sorgte. Konnte es so viele Zufälle geben? War Cameron doch der geheimnisvolle Unbekannte?
Gerade heute verrieten die dicken Wollschals für den alten Robbie und Pater MacKenzie, wie sorgfältig die Geschenke ausgesucht worden waren. Und das weiche hellblaue Schultertuch für Mrs. Brown! Die Mühe, die sich Cameron gegeben hatte, freute Blair besonders. Er war sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Für sie selbst waren Obst, Zucker für Silvesterpunsch und Mehl liebevoll in eine Baumwollschürze gewickelt, die viel zu groß war, um je getragen zu werden. Als er dann noch ganz unschuldig gestand, wie gern er an dem Fest zum Jahresausklang teilnehmen würde, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn einzuladen. Dabei quälte sie hin und wieder der Gedanke an die Frau in London immer noch! Mit den unerwarteten Vorräten in der Speisekammer von Duncan House versprach Silvester viel opulenter zu werden als in den vergangenen Jahren. Aber auch wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte sie Cameron aufgefordert, mit ihr zu feiern.
Er war längst nicht mehr der egoistische Knabe, der sie durch sein jahrelanges Schweigen so verletzt hatte. Vielleicht stimmte es ja, daß er die Briefe nie erhalten und erst vor wenigen Tagen bekommen hatte. Konnte sie aber nur deshalb, weil ihn vielleicht keine Schuld traf, annehmen, er sei der richtige Mann für sie? Liebte er sie so, wie sie es sich wünschte? Bedeutete sie ihm mehr als eine angenehme Abwechslung,
wenn er für eine Weile von seiner englischen Liebsten getrennt war?
Im Feuer lag keine Antwort, so grüblerisch Blair auch in das Flammenspiel starrte, in den Wechsel von Licht und zuckenden Schatten. Niemand konnte einem anderen Menschen ins Herz schauen. Wußte sie überhaupt, wie es um ihres stand? Sie war so tief in Gedanken versunken, daß es eine Weile dauerte, bis sie das leise Klopfen an der Tür hörte. Dann schlug ihr das Herz plötzlich rasend schnell. Aus einem unerklärlichen Grund hatte sie keinen Zweifel, wer der späte Gast war. Schnell stand sie auf, um ihn eintreten zu lassen, ehe die Dienstboten aufwachten. Es war eine Sache, tagsüber den Besuch eines Mannes zu erhalten, aber eine ganz andere, wenn es spät in der Nacht geschah.
„Komm herein, Cameron. Was in aller Welt willst du zu dieser Stunde noch von mir?" fragte sie leise und lächelte herzlich, um den Worten die Schärfe zu nehmen.
„Ich möchte dir nur richtig gute Nacht wünschen", antwortete er. „Aber ich war nicht sicher, ob der Priester nicht Anstoß nehmen würde, wenn er vorhin Zeuge geworden wäre."
„Wenn du schon davon redest, warum hattest du es denn auf einmal so eilig, und wohin . . ?" Blair kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Cameron zog sie in die Arme und drückte sie so fest an sich, als wolle er sie nie wieder gehen lassen. Sein Mund fand den ihren, und nur einen Augenblick leistete sie Widerstand. Ihr Körper war schnell bereit, Camerons drängendem Verlangen nachzugeben, weil sie es teilte. Sie preßte sich an ihn, überließ sich mit Freude den leidenschaftlichen Küssen und spürte, wie die Erregung sich steigerte. Sie fühlte sich geliebt und geborgen, strich mit den Fingern durch sein von der Nachtluft feuchtes Haar und fragte nicht länger
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