Historical Weihnachtsband 1992
draußen, und die Nacht ist sehr hell."
„Dazu besteht keine Notwendigkeit!"
„Oh doch!" widersprach er leise. „Es ist viel zu spät, als daß du allein durch den Wald gehen könntest, schon gar nicht jetzt, wo die Hälfte der Engländer hier uns für verlobt hält."
„Und wessen Schuld ist das?" fragte Blair wütend. „Du mußt ja doch mit der Wahrheit herausrücken."
„Wenn du bis Silvester meinen Antrag nicht angenommen hast, werde ich öffentlich erklären, daß ich gelogen habe. Mein Ehrenwort! Bis dahin bin ich dein bester Schutz vor dem Friedensrichter."
Blair fühlte sich viel zu müde, um noch weiter mit Cameron zu streiten, und verließ die Hütte. Draußen wartete der Apfelschimmel, und sie gestattete, daß Cameron ihr in den Sattel half.
Der Ritt nach Duncan House verlief in völligem Schweigen. Jeder war in Gedanken versunken. Eigentlich, überlegte Blair, war der Abend doch noch ein Erfolg geworden. Sie hatte Cameron davor bewahrt, gestellt zu werden, auch wenn sie dadurch den Verdacht auf sich selbst lenken mußte. Und sollte Cameron wirklich nicht der geheimnisvolle Wohltäter von Glenmuir sein, so würden die Engländer in dieser Nacht wenigstens nicht mehr nach dem richtigen suchen. Vielleicht hatte der Unbekannte noch einen anderen Schlupfwinkel und konnte Glenmuir trotzdem weiter beschenken.
Cameron empfand nichts als Genugtuung. Endlich hatte Blair ihm bewiesen, daß sie ihn liebte! Sie hatte riskiert, seinen Landsleuten in die Hände zu fallen, nur um ihn zu warnen. Außerdem hatte sie seine Küsse erwidert, dicht an ihn gedrückt, und leidenschaftlich seine Nähe gesucht. Nun mußte er nur noch ihren starren schottischen Sinn bewegen, zu akzeptieren, was ihr Körper längst spürte, die Tatsache, daß er und sie zusammengehörten. Schon morgen würde er seine Werbung um sie ernsthaft beginnen. Mit diesem festen Vorsatz verließ er Blair vor Duncan House.
★
Es war viel früher Morgen, als Blair erwartet hatte. Vielleicht deshalb, weil sie durch den Mangel an Schlaf in den vergangenen Wochen so müde war. Aber es war Weihnachten, und sie wollte sich alle Mühe geben, ein freundliches Gesicht zu machen, und sei es nur Robbie und Mrs. Brown zuliebe. Nach schnell vollzogener Morgentoilette ging sie in die Küche hinunter und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Der Anblick, der sich ihr bot, erregte fassungsloses Staunen. Auf dem breiten Tisch lag eine Gans, gerupft, gesäubert und bereits gefüllt, und daneben fanden sich alle erdenklichen Zutaten für einen richtigen Festschmaus.
Zwischen dem frischen Obst und den anderen Leckereien steckte eine kleine Karte mit der handschriftlichen Notiz: „Für jemanden, die gleich mir diese Jahreszeit und Glenmuir liebt. Genieße es!"
Das würde Blair sicher, ebenso wie die beiden Dienstboten und Pater MacKenzie, der alljährlich ihr Gast am Weihnachtstisch war und gewiß nur ein mageres Hühnchen erwartete. Diesmal hatte Cameron sich selbst übertroffen! Blair schüttelte den Kopf. Wie konnte sie denken, daß er der Spender dieser Köstlichkeiten war? Er hätte nie die Zeit gefunden, das herzurichten und zu bringen, nachdem er Blair nach Hause begleitet hatte. Die Vorstellung, er könne eigenhändig eine Gans rupfen, ließ Blair hell auflachen. Von wem auch immer das Weihnachtsgeschenk stammte, eines stand fest, an diesem Dinner würden alle in Duncan House ihre Freude haben. Blair ging zum Herd und machte Feuer. Sie ahnte nicht, daß zur gleichen Zeit Lord Lindsay ähnliche Überlegungen anstellte, mit einem Unterschied: Mrs. Pearsons unablässige Nörgeleien fielen dem Earl auf die Nerven.
Er saß im Speisezimmer beim Frühstück und suchte die aufgeregte Haushälterin zu beschwichtigen. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie um diese Tageszeit von mir erwarten. Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun? Natürlich sehe ich ein, daß Sie das Recht haben, zornig zu sein. Sie haben viel Zeit und Mühe aufgewendet, um alles für das Souper herzurichten, und nun wurde die vorbereitete Gans aus der Speisekammer gestohlen. Aber Sie wissen, daß ich nicht heikel bin. Wenn wir nichts Besseres im Hause haben, können Sie uns gern pochierte Eier vorsetzen."
„Zu Weihnachten? Herr im Himmel! Meine selige Mutter würde sich im Grabe umdrehen", erwiderte Mrs. Pearson empört. „Nein, ich werde einen Wildbraten machen, falls der verwünschte Halunke nicht auch den Fleischkeller geplündert hat."
„Sie haben freie Hand, was das Essen für
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