Historical Weihnachtsband Band 4
bereits morgen verlassen würden. Wofür sie dem Himmel dankte, da nur so dieser Zustand anhaltender Anspannung und böser Vorahnung endlich ein Ende finden –
und der armen Grace Erleichterung bringen würde.
Und doch musste ihr eigentlich klar sein, dass Sebastian gewiss heute noch um sie anhalten würde, so nervenaufreibend die Wartezeit auch sein mochte. Also musste etwas anderes sie bedrücken. Hatten sie womöglich miteinander gestritten?
Unwillkürlich empfand sie Ärger auf Sebastian. Sie war entschlossen herauszufinden, was geschehen war und wie sie helfen konnte, das Problem aus der Welt zu schaffen.
Sobald die letzte Kiste verpackt und die Lakaien losgeschickt worden waren, um die Lebensmittel zu verteilen, verließen Addie und Grace die Küche.
„Es hat aufgehört zu schneien, und die Sonne scheint“, bemerkte Addie. „Warum schleichen wir uns nicht ein wenig davon und gehen zum Schlittschuhlaufen an den Teich? Nur wir beide.“
Grace lächelte erfreut. „Wie als Kinder.“
„Ja, sicher. Aber auch wie letzten Winter, wenn ich mich recht erinnere“, meinte Addie lachend.
Grace stimmte in ihr Lachen ein, und Addie atmete erleichtert auf. „Weißt du noch, wie Mutter jedes Jahr mit uns Schlittschuhlaufen ging?“
Wie jedes Mal beim Gedanken an ihre wunderschöne Mutter schnürte es Addie die Kehle zu. „Sie war so anmutig auf dem Eis.“
„Ja. Aber du warst es, die mir das Schlittschuhlaufen wirklich beigebracht hat. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie du mich festhältst, während ich über das Eis stolpere.“ Grace legte ihr die Hand auf den Arm, und sie blieben mitten im Gang stehen. „Du hast mich festgehalten und nie losgelassen“, fügte sie mit ernster Miene hinzu. „Nicht einmal, wenn meine Füße unter mir wegrutschten und ich dich mit mir aufs Eis herunterzog.“
„Die Hälfte dieser Stürze waren aber doch meine Schuld, Schätzchen.“
Grace schüttelte den Kopf. „Nur, weil du über meine Füße gestolpert bist.“ Sie nahm die Hände ihrer Schwester. „Du hast immer auf mich aufgepasst, Addie.“
„So, wie du das sagst, klingt es ja, als wäre es eine lästige Pflicht, deine Schwester zu sein. Ich versichere dir, es hat mir immer große Freude gebracht.“
„Aber du warst so viel mehr für mich als eine Schwester. Du warst immer meine Beschützerin, meine beste Freundin. Und wie eine Mutter für mich, nachdem Mama gestorben war. Du hast so viel aufgegeben ...“
„Ist es das, was dich betrübt?“, unterbrach Addie sie zutiefst erleichtert. „Grace, wir alle sind ein wenig melancholisch um diese Jahreszeit, weil wir Mutter verloren haben, aber du darfst nicht traurig sein, besonders nicht meinetwegen. Ich habe nichts aufgegeben.“
„Doch.“ Tränen schimmerten in Graces Augen. „Mutter starb nur wenige Tage nach deiner Einführung in die Gesellschaft. Deine erste Saison war wegen des Trauerjahrs sofort zu Ende. Damals hatte ich es nicht verstanden, doch jetzt weiß ich, dass du die folgenden Jahre auch auf eine Saison verzichtetest, weil du zu sehr damit beschäftigt warst, mir und James die Mutter zu ersetzen.“
„Ich habe nichts Wichtiges aufgegeben, Grace. Du warst wichtig für mich. Du und James. Ihr seid es jetzt und werdet es immer sein.“ Das stimmte auch, und Addie erkannte, dass sie sich nie besonders nach all jenen Bällen und Abendgesellschaften gesehnt hatte, auf die sie hatte verzichten müssen. Ihr Sinn und Zweck war es schließlich gewesen, einen passenden Gatten zu finden, und es gab nur einen einzigen Mann, den sie je hatte heiraten wollen. Nur gehörte dieser Mann jetzt Grace.
Tränen liefen Grace über die Wangen. Addie fragte sich unwillkürlich, wie es möglich war, dass ihre Schwester selbst dann makellos schön aussehen konnte, wenn sie weinte.
„Es ist nicht nur das“, fuhr Grace fort. „Kürzlich führte ich einige sehr erleuchtende Gespräche mit Tante Margaret. Sie sagt, dir hätte ich es zu verdanken, dass mir nie Papas Enttäuschung darüber bewusst wurde, keinen Sohn zu haben. Bis zu James’
Geburt hast du ganz allein die Last tragen müssen, dass seine Töchter ihm nicht genügten.“
„Es war nur natürlich, dass Vater einen Erben für den Titel haben wollte“, bemerkte Addie leichthin, obwohl sie als Kind wirklich unter der Missachtung ihres Vaters gelitten hatte. Sie kletterte auf Bäume, fing Frösche und lernte zu reiten und fechten wie ein Junge, um seine Anerkennung zu gewinnen. Doch sie hatte
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