Hitlers Berlin
»erworbene« Haus Inselstraße 20/22 auf der Havelinsel Schwanenwerder, in direkter Nachbarschaft von Goebbels, Speer und seinem Leibarzt Theodor Morell, hat Hitler nie genutzt. Auch viele andere Größen des Regimes lebten in »arisierten« Villen vor allem in Wannsee, Grunewald, Dahlem und Tiergarten.
Eine wesentliche Veränderung des Amtsgebäudes der Reichskanzlei hatte das Büro Troost nicht eingeplant: einen Balkon zum Wilhelmplatz. Für Hitler wurde es in den ersten Jahren seiner Regierung zunehmend wichtiger, sich mit dem Gestus eines Monarchen der versammelten Menge zu zeigen. Als am 30. Januar 1933 der Fackelzug über die Wilhelmstraße gezogen war, hatte sich der gerade ernannte Reichskanzler zeitweise in unvorteilhafter Weise aus dem damaligen Kanzlerbüro recken müssen. »Das Fenster war mir zu unbequem«, sagte Hitler später zu Speer, »ich wurde nicht von allen Seiten gesehen. Schließlich kann ich mich nicht hinausbeugen.« So sehr ärgerte ihn dieser Mangel des Amtsgebäudes, dass er 1935 eine eigenhändige Skizze für einen Balkon zeichnete und sie Speer gab, der daraufhin einen zum Bau passenden Austritt realisierte. Der neue Balkon war von Sommer 1935 bis 1941 Hitlers bevorzugter Ort für öffentliche Auftritte. Mit den meisten Staatsbesuchern zeigte er sich hier; auch an seinen Geburtstagen oder nach politischen Erfolgen ließ er sich von der Menge auf Wilhelmstraße und Wilhelmplatz feiern. Manchmal trat der Reichskanzler auch ganz spontan hinaus; genügend Publikum gab es fast immer. 3
Über die Zustimmung der Berliner zu Hitler in den frühen Jahren des Dritten Reiches existieren keine verlässlichen Zahlen. Repräsentative Meinungsumfragen gab es in Deutschland noch nicht; selbst wenn es sie gegeben hätte, wären ihre Ergebnisse durch das Klima des Terrors verfälscht worden. Die letzten Wahlen in Berlin, zu denen verschiedene Parteien zugelassen waren, hatten der NSDAP am 12. März 1933 nur 38,3 Prozent der Stimmen gebracht, während ihr Anteil im Reich bei durchschnittlich 43,9 Prozent lag. Die nächste Abstimmung, die schon am 12. November stattfand, beruhte auf einer Einheitsliste und ergab reichsweit eine Zustimmung von 92,1 Prozent für Hitler. Unklar ist, welchen Anteil an diesem Ergebnis die mit allerlei Tricks vorgenommenen Wahlmanipulationen hatten; so wurde jeder Stimmzettel, der nicht eindeutig ein Kreuz im Kästchen für »Nein« trug oder auf dem nicht ausdrücklich »Nein« geschrieben stand, als »Ja«-Stimme gewertet. Außerdem gab es in einzelnen Wahllokalen nummerierte Umschläge für Stimmzettel, so dass eine geheime Abstimmung nicht gewährleistet war. Unter diesen Umständen erhielt die NSDAP-Liste in Berlin 85,1 Prozent; weniger Stimmen für Hitler gab es nur in Hamburg mit 83,6 Prozent. Die tatsächliche Zustimmung lag mit Sicherheit niedriger; ob bei 60, 70 oder 80 Prozent, ist allerdings Spekulation.
Nicht einmal die Beitritte zur NSDAP zwischen dem 1. Februar und dem Aufnahmestopp am 1.Mai 1933 lassen solide Schlüsse auf die Anhängerschaft Hitlers in der Hauptstadt zu. Insgesamt 1,65 Millionen Deutsche wurden in diesen acht Wochen in die Partei aufgenommen, die ihre Mitgliederzahl damit verdreifachte. Zwar sind große Teile der Parteikartei erhalten, doch fehlen gerade die für die regionale Verteilung der Beitrittswelle wichtigen Verzeichnisse weitgehend. Da allerdings in der Hauptstadt im Frühjahr 1933 sehr rasch der Spottbegriff »Märzgefallene« für die Neumitglieder kursierte, ein Bezug auf die Opfer der Berliner Revolution von 1848, ist anzunehmen, dass ein wesentlicher, auf jeden Fall überdurchschnittlicher Anteil der Beitritte in der Reichshauptstadt stattfand. Für Massenversammlungen gleich welcher Größe jedenfalls gab es jederzeit genügend willige Teilnehmer in der Stadt. Nach dem Aufnahmestopp für die Partei wichen viele beitrittswillige Berliner auf die weiterhin offene Massenorganisation SA sowie andere Gliederungen wie den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund aus, der die treibende Kraft bei den Bücherverbrennungen »wider den undeutschen Geist« im Frühjahr 1933 war. In Berlin nutzte Goebbels die Aktion auf dem Kaiser-Franz-Joseph-Platz (heute Bebelplatz) am 10. Mai zu einem wirkungsvoll inszenierten Auftritt. Am stärksten wuchs die Hitlerjugend, die ihre Mitgliederzahl reichsweit von knapp 108 000 Ende 1932 auf mehr als 2,3 Millionen Ende 1933 verzwanzigfachte; übrigens in einer Zeit, in der sie noch nicht zur
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