Hitlers Berlin
offiziellen Jugendorganisation avanciert, sondern die Mitgliedschaft freiwillig war. Wie häufig bei den Beitritten zu den verschiedenen NS-Organisationen reiner Opportunismus die Triebkraft war und wie oft subjektiv ehrlicher Glaube an Hitler, lässt sich nicht feststellen. In der Regel dürften beide Motive untrennbar verwoben gewesen sein. 4
Die Propaganda und die ungeheure Dynamik, die Hitler und die NSDAP entfalteten, verdeckten den eher bescheidenen Erfolg der Regierungspolitik. Zwar stattete das Kabinett Hitler die bereits 1932 unter den Kanzlern Papen und Schleicher begonnenen Arbeitsbeschaffungsmaß nahmen mit erheblichen zusätzlichen Mitteln aus. Das Programm »3000 Kilometer Reichsautobahnen« von 1933 eröffnete die Möglichkeit, hunderttausende Männer schnell und ohne nennenswerte Ausbildung buchstäblich Hand anlegen zu lassen. Tatsächlich sank die durchschnittliche Arbeitslosenquote in Deutschland: Von 6,01 Millionen im Januar 1933 auf 4,8 Millionen im Jahresdurchschnitt 1933 und auf durchschnittlich 2,71 Millionen 1934. Der Grund war jedoch keineswegs ein realer Aufschwung mit neuen Arbeitsplätzen, sondern vor allem Methoden, die nur einer öffentlich nicht kontrollierten, aktionistischen Staatsverwaltung zur Verfügung standen. So wurden zum Beispiel etwa 1,5 Millionen Arbeitslose mit Infrastrukturbauten beschäftigt, die ausschließlich mittels neuer Schulden finanziert wurden. Weitere Maßnahmen waren die Verdrängung von Frauen und Jugendlichen aus der Berufswelt, die beginnende Erweiterung der Reichswehr, die schnell aufgeblähten Parteiapparate und die zwangsweise Einteilung zum Ernteeinsatz. Hinzu kam ein statistischer Trick: Dank einer Änderung des Berechnungsverfahrens »verschwanden« hunderttausende Saison-, Kurz- und Notstandsarbeiter aus der Statistik. Ausschlaggebender als die wirkliche Abnahme der Arbeitslosigkeit war die komplett veränderte Stimmung in ganz Deutschland und besonders in Berlin. Selbst von den reichsweit knapp 13 Millionen Wählern, die noch im März 1933 für SPD oder KPD gestimmt hatten, ließen sich viele anstecken von der vom Staat verordneten Begeisterung. Ein Grund war, dass sich jetzt sichtbar »etwas tat«: In der Hauptstadt wurden eindrucksvolle Prestigebauten errichtet, zum Beispiel das gigantische Reichsluftfahrtministerium an der Wilhelmstraße und der neue Zentralflughafen, damals das mit Abstand größte Gebäude der Welt. Beide waren völlig überdimensioniert und vor allem als Kulissen für die Selbstinszenierung des Regimes gedacht. Auch Goebbels vergrößerte sein 1933 neu geschaffenes Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda so rasch, dass an das ehemalige Palais des Prinzen Friedrich Leopold am Wilhelmplatz 8/9 schon nach einem Jahr ein gewaltiger Gartenflügel und ab 1936 eine noch einmal doppelt so große Erweiterung zur Mauerstraße hin angebaut werden mussten. Der Chef des Reichsarbeitsdiensts, Konstantin Hierl, ließ sich am Bismarckplatz in Wilmersdorf ein überdimensioniertes Hauptquartier errichten; Robert Ley, Kopf der Deutschen Arbeitsfront und allgemein »Reichstrunkenbold« genannt, plante am Fehrbelliner Platz eine gigantische Zentrale, die schließlich nur teilweise realisiert wurde – weil die Stadtverwaltung Einspruch erhob.
Damit war das Arbeitsfront-Projekt allerdings eine Ausnahme. In der Regel wurden für die NS-Prestigeprojekte sämtliche Genehmigungsverfahren und Kontrollmechanismen ausgeschaltet sowie benötigte Gelder gegen alle Prinzipien seriöser Haushaltsführung mit fiskalischen Tricks bereitgestellt. Möglich war das nur durch die gewaltsame Unterdrückung abweichender Meinungen und die Zerschlagung unabhängiger Gewerkschaften: Eine Kontrolle staatlichen Handelns fand nicht mehr statt. Die Kehrseite war, dass für propagandistisch weniger nutzbare Projekte das Geld fehlte. So kam der Wohnungsbau in Berlin nicht voran. Waren 1929 mehr als 24 000 Neubauwohnungen entstanden, 1930 sogar 43 854 und selbst in der beginnenden Wirtschaftskrise 1931 noch etwa
31 000, konnten 1933 – 1935 weniger als 10 000 neue Wohnungen pro Jahr bezogen werden. Seinen Höchststand während des Dritten Reiches erreichte der Wohnungsbau in der Hauptstadt 1937 mit 18746 neuen Quartieren – weniger als 1927. Der Grund war die geringe Priorität, die der Wohnungsbau jetzt genoss. Der Staat zog sich aus der Finanzierung weitgehend zurück; hatte 1928 der Anteil des Wohnungsbaus an öffentlichen Investitionen in Berlin noch 18,4
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