Hitlers Berlin
Berlin »ergebenst« darum ersucht, 1936 die Wettkämpfe der XI. Olympiade neuer Zeitrechnung ausrichten zu dürfen. Im Mai 1931 stimmte das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu. Doch schon ein Jahr später, bei den X. Olympischen Spielen in Los Angeles, waren angesichts der politischen Probleme in Deutschland düstere Wolken über dem Vorhaben aufgezogen. IOC-Präsident Henri de Baillet-Latour ließ indirekt bei Hitler anfragen, wie sich die NSDAP zu den Spielen stellen würde, wenn sie an die Regierung käme. Die Antwort war beruhigend für das IOC: Er werde die »Frage der Durchführung mit großem Interesse« betrachten, teilte Hitler diplomatisch mit. Trotz des Aufsehens, das das gewalttätige Vorgehen der NSDAP in den ersten Monaten nach der Machtübernahme international erregte, bestätigte das IOC Anfang Oktober 1933 die Vergabe der Spiele nach Berlin. Daraufhin besichtigte Hitler das als Austragungsort vorgesehene Deutsche Stadion im Nordwesten Charlottenburgs, eine für die wegen des Ersten Weltkrieges ausgefallene Olympiade 1916 errichtete Anlage, die nun erweitert werden sollte. Theodor Lewald, der Vorsitzende des Organisationskomitees, vermerkte über die Visite: »Der Kanzler erklärte, das Stadion müsse ganz vom Reich gebaut werden, es sei das eine Reichsaufgabe; wenn man die ganze Welt zu Gast geladen hätte, müßte etwas Großartiges und Schönes entstehen.« Lewald bilanzierte Hitlers Besuch: »Ich glaube, daß mit dem heutigen Tag der entscheidende Schritt für die Verwirklichung unserer kühnsten Hoffnungen und Pläne getan ist.«
Statt der 120 000 Menschen, die das gesamte Gelände nach Lewalds Vorstellungen fassen können sollte, wollte Hitler einen Aufmarschplatz für mindestens eine halbe Million Berliner. Das war konsequent, denn der geplante Ausbau der Flughafens Tempelhof würde das Tempelhofer Feld in absehbarer Zeit für Massenversammlungen unnutzbar machen.
Das neue Stadion sollte mit 100 000 Plätzen zwar das größte der Welt werden, aber die Bedeutung des nun Reichssportfeld genannten Areals ging weit über die zweiwöchige Olympiade hinaus. Ohne Ausschreibung und Genehmigungsverfahren erhielt der Architekt Werner March den Auftrag für die Neubebauung; sein Vater Otto hatte bereits das Deutsche Stadion errichtet, das ab April 1934 abgerissen wurde. Die Kosten explodierten; statt der vorgesehenen fünf Millionen Reichsmark für den Umbau des alten Stadions wurden Ende 1934 mindestens 27 Millionen Reichsmark für das gesamte Reichssportfeld veranschlagt – obwohl der Reichsarbeitsdienst eine »Arbeitsspende« von anderthalb Millionen Reichsmark leistete, nämlich unbezahlte Unterstützung bei den Erdarbeiten. In weniger als zwei Jahren entstanden das Stadion und zahlreiche Nebenbauten; nur möglich aufgrund der absolut effizienten, von rechtlichen Vorschriften oder gewerkschaftlichen Vorbehalten völlig freien Bauarbeiten. Der Reichskanzler traf auf Wunsch des Architekten mehrfach Entscheidungen in strittigen Fragen der Gestaltung; trotzdem war und blieb das Stadion eine Schöpfung Werner Marchs, mit der Hitler nie ganz zufrieden war. Gegenüber dem französischen Botschafter in Berlin, André François-Poncet, bemängelte er die Stahlbeton-Konstruktion, die der »Schönheit des Steins« nicht gleichkomme; am 28. Juni 1935 äußerte er gegenüber dem Berliner Oberbürgermeister Heinrich Sahm, er sei »durchaus nicht zufrieden mit dem, was auf dem Reichssportfeld alles geschähe«. Hier dürfte der wahre Kern einer von Albert Speer in seinen Erinnerungen überlieferten, sehr bekannten Anekdote liegen: »In eine unangenehme Lage geriet das deutsche Olympiakomitee, als Hitler sich vom zuständigen Staatssekretär im Innenministerium, [Hans] Pfundtner, die ersten Pläne für den Neubau des Stadions zeigen ließ. Otto March, der Architekt [richtig: Werner March], hatte einen Betonbau mit verglasten Zwischenwänden, ähnlich dem Wiener Stadion, vorgesehen. Von der Besichtigung kam Hitler zornig und erregt in seine Wohnung, wohin er mich mit Plänen bestellt hatte. Kurzerhand ließ er den Staatssekretär wissen, daß die Olympischen Spiele abzusagen seien. Ohne seine Anwesenheit könnten sie nicht stattfinden, da das Staatsoberhaupt sie eröffnen müsse. Einen solchen modernen Glaskasten werde er jedoch nie betreten. Ich zeichnete über Nacht eine Skizze, die eine Umkleidung des Konstruktionsgerippes mit Naturstein sowie kräftigere Gesimse vorsah, die Verglasung fiel fort, und
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