Hitlers Berlin
»zweite Revolution« Ernst Röhms und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. In dieser Zeit war sie sogar wichtiger als der zwar immer noch vorhandene, aber nicht mehr ganz so offen ausgeübte Terror und die zunehmend radikalere antisemitische Politik. Selbstdarstellung aber bedarf stets einer Bühne, auf der sie stattfinden kann. Hitlers wichtigste Bühne noch vor Nürnberg, der »Stadt der Reichsparteitage«, sollte Berlin sein. 1 Die erste Großinszenierung des »neuen Deutschlands« fand schon am 1.Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld statt, einer Freifläche östlich der Berliner Straße (heue Tempelhofer Damm), die vom damals wenige Jahre alten Zentralflughafen, der Ringbahn und der Flughafenstraße (seinerzeit die Fortsetzung der Paradestraße, einige hundert Meter südlich ihres heutigen Verlaufs) begrenzt wurde. Mehrere hunderttausend Menschen strömten zu der abendlichen Versammlung auf den ehemaligen Exerzierplatz, wenn auch weder »einundeinehalbe Million« kamen, wie Goebbels behauptete, noch zwei Millionen, wie es in einer Broschüre des NS-Parteiverlages hieß. Die Berliner Stadtverwaltung hatte Pläne für ein Podium entworfen, auf dem Hitler sprechen sollte. Als der junge Architekt Albert Speer, der gerade in Rekordzeit das Palais des Prinzen Friedrich Leopold am Wilhelmplatz 8/9 zum Propagandaministerium umgebaut hatte, einige Wochen vor dem 1. Mai in Goebbels’ neuem Dienstsitz zufällig diese Pläne sah, sagte er seiner Erinnerung nach spontan: »Das sieht aus wie die Dekoration zu einem Schützenfest!« Der einflussreiche persönliche Referent des Propagandaministers, Karl Hanke, antwortete laut Speer: »Wenn Sie was Besseres machen können, nur los!« Speer skizzierte nach eigenen Angaben in nur einer Nacht eine eindrucksvolle Kulisse: Dreimal drei riesige Flaggen, sechs davon 15 Meter lang, die mittleren drei sogar 20 Meter, sollten an Masten hinter einer ebenfalls dreiteiligen Tribüne hängen. In deren Mitte, noch einmal erhöht, befand sich Hitlers Rednerpodest. Außerdem sah Speer vor, die neun Flaggen, davon sechs Hakenkreuzfahnen, mit starken Scheinwerfern anzuleuchten, »um den Eindruck eines erhobenen Mittelpunktes wie auf einer Bühne noch intensiver herauszuarbeiten.« Es war eine äußerst labile Konstruktion, denn bei stärkerem Wind hätten die Flaggen wie Segel gewirkt und wären umgestürzt. Hitler war von der schnell und mit einfachen Mitteln geschaffenen Kulisse begeistert. 2
Der erste große Bauauftrag des Reiches ging jedoch weder an Speer, noch sollte er in Berlin realisiert werden: Schon Ende März 1933 hatte der Völkische Beobachter erstmals über den neuen »Verwaltungsbau der NSDAP« an der Arcisstraße in Münchens Innenstadt berichtet; im September begannen die Arbeiten. Als Architekt beauftragt war Paul Ludwig Troost, damals Hitlers favorisierter Baumeister. Mit Plänen für Berlin hielt sich der Reichskanzler noch zurück; er konnte nicht einmal sofort seine
Selbstinszenierung: Speers Kulisse auf dem Tempelhofer Feld, 1. Mai 1933
Amtsräume in der 1928 errichteten Reichskanzlei Wilhelmstraße 78 umgestalten, denn noch bis zum Sommer 1933 residierte der greise Reichspräsident Hindenburg im barocken Kanzlerpalais Wilhelmstraße 77, während sein eigener Dienstsitz vier Grundstücke weiter nördlich renoviert wurde. Erst Ende 1933 lagen Troosts Pläne für die Neugestaltung der Reichskanzlei und des benachbarten Reichskanzlerpalais vor. Sie wurde nach Troosts überraschendem Tod im Januar 1934 seiner Witwe Gerdy und seinem Vertrauten Leonhard Gall übertragen, aber unter Speers Leitung ausgeführt. Offiziell begründete Hans-Heinrich Lammers, Hitlers Staatssekretär in der Reichskanzlei, diese Maßnahmen: »Um das Gebäude zweckvoll zu nutzen, wünscht der Herr Reichskanzler, daß es unverzüglich einem Umbau unterzogen wird, durch den übergroße Räume und selten benutzte Säle zu geeigneten Arbeitsräumen umgestaltet werden sollen.« In Wirklichkeit wurde nun der ehemalige Festsaal, etwa 110 Quadratmeter groß, zum Arbeitszimmer des Kanzlers. Nach der alten Aufteilung hatte er einen halb so großen Raum zum Wilhelmplatz hin gehabt. Ein komplett neuer, noch größerer Festsaal wurde 1935/36 im Garten angelegt. Seit Anfang 1934 wohnte Hitler im nördlichen Seitenflügel des Kanzlerpalais, der zu einer großzügigen Raumfolge umgebaut worden war. Es war die erste und einzige Wohnung, die er in Ber lin je bezog; das 1939 aus jüdischem Besitz für ihn
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