Hitlers Berlin
der »Langemarckhalle« unter der Ehrentribüne des Reichssportfeldes niederlegte, einer Kultstätte der Kriegsverherrlichung zum Gedenken an den sinnlosen, symbolisch überhöhten Opfertod tausender deutscher Reservisten und Kriegsfreiwilliger nahe der Stadt Langemarck in Flandern Anfang November 1914 – ein bewusster Affront gegen England, Frankreich und Belgien. Die Eröffnungsfeier dann war geprägt von militärischer Strenge; beim Einmarsch der Nationen wurden besonders die Italiener gefeiert. Auch den Franzosen jubelten hunderttausend Berliner zu, denn die Sportler salutierten auf antike Art, was das Publikum als Hitler-Gruß deutete. Dagegen blieb der Empfang der britischen Mann schaft kühl, was selbst Goebbels als »etwas peinlich« empfand. Wieder einmal kam übrigens das Wetter Hitler zu Hilfe: Es klarte auf, als er im Stadion erschien, und blieb dann stabil sonnig. Am selben Abend feierten die Berliner den offenbar so erfolgreichen Reichskanzler auf dem Wilhelmplatz. Mehrfach zeigte er sich auf dem Balkon, und »die Menge tobt«, wie Goebbels aufzeichnete. Adolf Hitler war populärer denn je. Bei den Spielen war er meist im Stadion anwesend. Der ganz in seiner Nähe auf der Ehrentribüne sitzende französische Botschafter André François-Poncet beobachtete Hitlers unsportliche Schadenfreude bei deutschen Siegen und seine finstere Miene, wenn deutsche Athleten geschlagen wurden. Die von Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann im Olympiastadion reichlich geschossenen Bilder belegen das. Trotzdem verfehlte die Stimmung im stets bis zum letzten Platz gefüllten Stadion ihre Wirkung auch auf François-Poncet nicht: »Man hatte das Bild eines versöhnten Europas, das seine Streitigkeiten in Wettlauf, Hochsprung, Wurf und Speerwurf austrug.« Beigetragen zu diesem Eindruck hat vielleicht, dass die Berliner den Superstar der XI. Olympiade, den farbigen US-Sprinter und vierfachen Gold-Gewinner Jesse Owens, begeistert feierten.
Die internationalen Reaktionen auf die Spiele waren zwiespältig. Zwar äußerte sich Goebbels in seinen Tagebüchern begeistert über das Echo der ausländischen Zeitungen, aber eine interne Presseauswertung seines Ministeriums zeigte, dass gerade bei dem Dritten Reich gegenüber kritischen Blättern keine veränderte Berichterstattung zu vermerken war. Als der Propagandaminister zu Beginn der Olympiade den versammelten Korrespondenten versicherte, die Spiele seien keine Propagandaveranstaltung, wirkte das, so der Goebbels-Biograf Ralf Georg Reuth, »geradezu kontraproduktiv und wenig souverän«. Dass trotzdem bis heute die Olympiade 1936 in vielen Köpfen weiter wirkt, war die Folge eines nicht absehbaren Geniestreichs: Die Regisseurin Leni Riefenstahl, die mit extremen Perspektiven und radikal neuen Motivideen schon die NSDAP-Parteitage 1933 und 1934 in außergewöhnliche Bilder gebannt hatte, filmte mit nie gekanntem Aufwand auf dem Reichssportfeld. Ihre Olympia-Filme Fe st der Völker und Fe st der Schönheit gelten zu Recht als perfekte, noch heute gefährlich faszinierende Inszenierungen des Nationalsozialismus. 9
Für die aufwändige Abschlussfeier der Wettbewerbe hatte sich Albert Speer etwas Besonderes einfallen lassen. Mit künstlichem Licht arbeitete
Maifeier: Hitler im Olympiastadion nach der »Heimholung« Österreichs, 1. Mai 1938
der Architekt gern; schon bei seiner ersten Kulisse für Hitler am 1. Mai 1933 hatte er dieses vergleichsweise billige Mittel eingesetzt. Nun ließ Speer rund um die Arena starke Flakscheinwerfer aufstellen, die am Abend des 16. August 1936 auf einen Schlag eingeschaltet wurden. Selbst der dem NS-Regime gegenüber sehr kritische US-Botschafter in Berlin, William E. Dodd, war beeindruckt: »Das große Stadion war ringsherum von den obersten Reihen aus erleuchtet durch kuriose Strahlenbündel, die sich in 60 bis 100 Meter Höhe kreuzten. Noch nie habe ich eine so bis ins letzte ausgeklügelte Schau gesehen.« Dodd bilanzierte trotzdem: »Diese Art von Propaganda mag den Deutschen gefallen haben; auf Ausländer machte sie, wie ich gehört habe, einen ungünstigen Eindruck.« Ähnlich ging es offensichtlich, wenn auch aus anderen Gründen, Joseph Goebbels. In seiner Tagebucheintragung über die Schlussfeier erwähnte er Speers Lichtdom mit keinem Wort: »Eine etwas trockene Schlußfeier. Streng nach dem Protokoll. Das muß straffer und wirkungsvoller werden. Das Feuer erlischt. Glocken läuten, Fahne herunter. Die Spiele sind aus.«
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