Hitlers Berlin
Hitler war zufrieden. Er sorgte für die Finanzierung des Mehraufwandes, Professor March stimmte der Änderung zu, und die Spiele waren für Berlin gerettet.« Eine schöne Geschichte, allerdings mit einem Makel: Sie ist erfunden. Die nahezu lückenlos erhaltenen Bauakten, in denen sich eine solch tiefgreifende Änderung zwangsläufig niederschlagen würde, selbst wenn man sie hätte verheimlichen wollen, überführen Speer der Lüge. Übrigens konnte sich auch Werner March kurz vor seinem Tod 1976 nicht an eine Einflussnahme von Hitlers Lieblingsarchitekten erinnern. 7
Neben dem repräsentativen Stadion sollten auch Ruhe, Sauberkeit und Ordnung die ausländischen Besucher beeindrucken. Dazu gehörte, dass jede Form von offenem Antisemitismus vermieden wurde. Noch
1935 hatte es eine Initiative des amerikanischen Olympischen Komitees gegeben, die Spiele in der Hauptstadt des Dritten Reiches wegen zahlreicher Verstöße gegen das olympische Prinzip der religiösen und politischen Gleichheit abzusagen. Doch einmal mehr setzten sich die Beschwichtigungspolitiker in den westlichen Demokratien durch: Das US-Komitee machte seinen Vorstoß rückgängig und schickte seine komplette Mannschaft nach Berlin. Die NS-Führung reagierte; die bereits reichsweit verbreiteten Schilder »Für Juden verboten« verschwanden fast überall für die Dauer der Spiele. Und nicht nur das. Die Exil-SPD meldete: »Die Einzelaktionen haben nach den Nürnberger Gesetzen aufgehört.« Die illegalen Sozialdemokraten, inzwischen erfahren in der Analyse von Hitlers Manövern, wussten jedoch: »Aber man rechnet damit, daß der Judenterror nur mit Rücksicht auf die Olympiade vorübergehend gemildert sei und daß auch die Nürnberger Gesetze nach der Olympiade in voller Schärfe durchgeführt werden.« So blieb es bei kosmetischen Maßnahmen. Aus den Kästen für den Aushang des primitiven Hetzblattes De r Stürmer verschwand dessen Motto, das berüchtigte Treitschke-Zitat »Die Juden sind unser Unglück«. Julius Streichers Wochenzeitung war kurz vor und während der Olympiade an Berlins Kiosken nicht erhältlich.
Sportler jüdischen Glaubens wurden entgegen dem »Arierparagraphen« zu den Wettkämpfen zugelassen; sogar in der deutschen Mannschaft gab es eine jüdische Athletin: die Fechterin Helene Mayer, die bereits emigriert war, aber für die Olympiade nach Deutschland zurückkehrte. Sie gewann für das Dritte Reich, das sie ihrer Bürgerrechte beraubt hatte, die Silbermedaille. Allerdings versuchte das Organisationskomitee trotzdem, möglichst jeden Kontakt zwischen Besuchern und deutschen Juden zu vermeiden. Im offiziellen Berlin-Führer war keine einzige Synagoge verzeichnet, sehr wohl dagegen alle Kirchen und sogar eine Moschee.
Die Stimmung in der Reichshauptstadt während der Spiele war enthusiastisch. Die Stadt war noch über die ohnehin aufwändige, wenn auch nicht unbedingt geschmackvolle Verzierung mit Parteisymbolen,Adlern, bemalten Holzsäulen, goldenen und grünen Girlanden hinaus geschmückt. Vorherrschendes Motiv war an öffentlichen Gebäuden wie Privathäusern das Hakenkreuz. »Berlin verwandelt sich in eine richtige Feststadt«, schrieb Joseph Goebbels am 24. Juli 1936 in sein Tagebuch, eine gute Woche vor Eröffnung der Olympiade; zufrieden war er jedoch nicht: »Aber noch vieles bleibt zu tun.« Am 29. Juli, drei Tage vor der Eröffnungsfeier, heißt es dann: »Fahrt durch das festliche Berlin. Olympia-Brunnen am Rathaus von Hanna Cauer wunderbar. Das Rathaus selbst nicht mehr wiederzuerkennen. Herrlich der Lustgarten. Schloß noch etwas dünn. Da wird nun nachgeholfen. Fahrt Triumphstraße. Die wirkt grandios. Sportstadion: Es ist besser geworden, als ich gedacht. Alles in allem: gute Arbeit. Ich setze noch Druck dahinter. Nun wird’s klappen.« 8
Mehr als zwei Millionen Berliner waren am 1. August 1936, einem Samstag, auf den Beinen, um die Eröffnung der XI. Olympiade zu feiern. Es nieselte leicht, als IOC-Chef de Baillet-Latour vor dem Zeughaus zusammen mit Reichstagspräsident Hermann Göring die Front einer Ehrenkompanie abschritt. »Die Olympianer sehen aus wie die Direktoren von Flohzirkussen«, spottete Goebbels. Die Sportfunktionäre machten gute Miene zum bösen Spiel, zu einer für Olympische Spiele bis dahin unvorstellbar kriegerischen Inszenierung. Symbolisch war, dass Hitler ausgerechnet am Tag der Eröffnung des »Friedensfestes« in Begleitung des Reichskriegsministers Werner von Blomberg einen Kranz in
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