Hitlers Berlin
»Ressource« zurück, die ihm nur das Unrechtssystem des Dritten Reiches zur Verfügung stellen konnte: KZ-Häftlinge. 1938 wurde verfügt, nahe dem KZ Sachsenhausen nördlich Berlins ein unter dem harmlosen Namen »Klinkerwerk« bekannt gewordenes Außenlager zu errichten, das jährlich 150 Millionen Ziegelsteine produzieren sollte. Der Aufbau des KZ war zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spiele begonnen worden, doch die internationale Öffentlichkeit erreichten Informationen darüber erst im Herbst 1936. Das »Klinkerwerk« brachte wahrscheinlich bis zu 10 000 Menschen den Tod. Die neuen Konzentrationslager Flossenbürg (Oberpfalz), Mauthausen (bei Linz) und, nach der Niederlage Frankreichs 1940, Natzweiler (Elsaß) dienten vornehmlich dem Abbau von Granit. Doch die gelieferten Blöcke waren von so schlechter Qualität, dass sie überwiegend nur als Bruchstein zum Straßenbau verwendet werden konnten. Nach dem Krieg behauptete Albert Speer, die Initiative zum Einsatz von KZHäftlingen sei von SS-Chef Himmler ausgegangen – ob das stimmt, ist offen.
Die erhaltenen Akten des GBI belegen, dass Speer persönlich eine weitere Verschärfung der antijüdischen Maßnahmen in Berlin betrieb. Die Nord-Süd-Achse sollte zwar zu großen Teilen auf stillzulegenden Bahngeländen entstehen, aber trotzdem mussten zahlreiche Wohnhäuser abgerissen werden. Das war nur möglich, wenn für die Mieter Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt werden konnte. Im Protokoll einer Sitzung von GBI und Stadtverwaltung am 14. September 1938 heißt es: »Hinsichtlich des Baus von Mittel- und Großwohnungen entwickelte Prof. Speer einen Vorschlag, der darauf abzielt, die erforderlichen Großwohnungen durch zwangsweise Ausmietung von Juden freizumachen.« Dabei handelte es sich eindeutig um eine Initiative des Architekten, wie ein weiterer Satz des Protokolls beweist: »Dieser Vorschlag ist streng vertraulich zu behandeln, da Prof. Speer zunächst die Auffassung des Führers erkunden will. Danach würden die erforderlichen gesetzlichen Handhaben zu schaffen sein.« Natürlich bekam Speer die Erlaubnis Hitlers; am 26.November 1938 erging eine erste Anweisung Görings, die dem GBI ein »Vorkaufsrecht« nach »Entfernung der Juden aus Wohnungen, Läden, Speichern usw.« einräumte. Am 9. Februar 1939 folgte eine Verordnung, die alle ehemals von Juden bewohnten, nun »freigewordenen oder freiwerdenden« Wohnungen meldepflichtig machte. »Wer Jude ist, bestimmt sich nach Paragraph 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935«, heißt es weiter – also nach den berüchtigten »Nürnberger Gesetzen«. Am 30. April 1939 erließ Hitler dann das »Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden«, das den Mieterschutz für Juden aufhob und sie der Verelendung auslieferte. 15
Realer Schrecken
Typisch für das Dritte Reich im Allgemeinen und für das nationalsozialistische Berlin im Besonderen ist die Mischung von Verführung und Gewalt. Beides ging eine untrennbare Verbindung ein, denn ohne die Unterdrückung jeder kritischen Öffentlichkeit hätte nie die Kulisse geschaffen werden können, die Hitler und seine Paladine als Bühne ihrer Selbstdarstellung unbedingt benötigten. In den letzten zwei Jahren vor dem Beginn des Krieges, nach Olympia und parallel zu den Umbaufantasien Hitlers und Speers, illustrieren ein Bau und zwei Ereignisse, dass der Wahnsinn des Regimes sehr wohl als realisierbar gedacht war: die Errichtung einer neuen Reichskanzlei in der Hauptstadt, die »Reichskristallnacht«, der Höhepunkt der systematischen Judenverfolgung in Friedenszeiten, und die Parade zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939. »Ende Januar 1938 empfing mich Hitler offiziell in seinem Arbeitszimmer«, schrieb Albert Speer in seinen Er innerungen. Der Kanzler soll seinem Architekten, der völlig mit den Planungen für den Umbau Berlins und die Errichtung neuer Parteitagsbauten in Nürnberg ausgelastet war, gesagt haben: »Ich habe einen dringenden Auftrag für Sie. Ich muß in nächster Zeit wichtigste Besprechungen abhalten. Dazu brauche ich große Hallen und Säle, mit denen ich besonders kleineren Potentaten imponieren kann. Als Gelände stelle ich Ihnen die ganze Voßstraße zur Verfügung. Was es kostet, ist mir gleichgültig. Aber es muß sehr schnell gehen und trotzdem solid gebaut sein. Wie lange brauchen Sie? Pläne, Abriß, alles zusammen? Anderthalb oder zwei Jahre wären mir schon zu viel. Können Sie zum 10. Januar
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