Hitlers Berlin
1939 fertig sein? Ich will den nächsten Diplomatenempfang in der neuen Kanzlei machen.« In einem auf den 27. Januar 1938 datierten Befehl auf Hitlers persönlichem Papier heißt es: »Ich ordne an, daß das Gesamtbauvorhaben in der Voßstraße im Rohbau bis zum 1. August fertiggestellt und am 1. Januar 1939 bezugsfertig ist. Alle der Einhaltung dieses Termins entgegenstehenden Schwierigkeiten sind zu beseitigen.« Einem solchen »Führerbefehl«, in Wirklichkeit ein Blankoscheck, widersetzte sich niemand.
Dass diese Anweisung tatsächlich am angegebenen Tag erlassen wurde, ist allerdings fraglich, denn in den letzten Januartagen 1938 erlebte das Dritte Reich seine schwerste Krise seit dem »Röhm-Putsch«: In einer wahrscheinlich bewusst inszenierten Affäre wurden der Kriegsminister Werner von Blomberg und der Chef des Heeres, Werner von Fritsch, wegen »Verstößen gegen die Sittlichkeit« zum Rücktritt genötigt – die beiden ranghöchsten und im Offizierskorps hoch verehrten Militärs. Blomberg hatte eine junge Frau geheiratet, die eine Akte bei der Berliner Sittenpolizei hatte; dem unverheirateten Fritsch wurden Verstöße gegen den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches vorgeworfen, also Homosexualität. Angesichts dessen sagte Hitler seine Rede zum fünften Jahrestag seiner Ernennung zum Kanzler kurzerhand ab. Goebbels notierte: »Und dann kommt die schwierigste Frage: wie dem Volk sagen? Es gehen die tollsten Gerüchte um. Der Führer ist ganz erledigt. Wir haben alle seit Montag nicht mehr geschlafen.«
Vielleicht um diese Krise zu kaschieren, betonte Hitler später, zur selben Zeit den Auftrag für die Neue Reichskanzlei gegeben zu haben. So jedenfalls ließe sich erklären, was er in seiner Rede zum Richtfest des Rohbaus der Neuen Reichskanzlei am 2. August 1938 sagte: »Das war natürlich ein in den Augen aller Fachleute unmöglicher Befehl, nur mein Parteigenosse Speer hat keine Sekunde gezögert, sondern sich nur sechs Stunden Arbeitszeit ausbedungen. Und nach sechs Stunden kam er mit dem Plan und versicherte mir, daß bis zum 15. März die alten Häuser weggerissen sein würden, daß am 1. August das Richtfest sein und daß am
10. Januar [1939] der Bau stehen würde. Das ist jetzt – meine Volksgenossen – kein amerikanisches Tempo mehr, das ist jetzt schon deutsches Tempo.« Speer bezeichnete sein Eingehen auf Hitlers Vorschlag im Rückblick als »die leichtsinnigste Zusage meines Lebens«.
Doch sind alle Berichte über die Auftragserteilung Ende Januar 1938 Legenden. Ende der siebziger Jahre stieß die Kunsthistorikerin Angela Schönberger im Hauptstaatsarchiv München auf die Originalpläne der Neuen Reichskanzlei. Sie zeigen im Maßstab 1:100 alle Geschosse des mehr als 400 Meter langen Riesenbaus; bis auf wenige unwesentliche Details entsprechen diese Pläne dem tatsächlich errichteten Gebäude. Gezeichnet wurden diese Pläne im Juli 1937. Allerdings liegt die Grundsatzentscheidung, an der Voßstraße eine neue Residenz für Hitler zu errichten, noch länger zurück: Schon im Sommer 1934, im Zusammenhang mit den Beratungen über die Umgestaltung Berlins, hatte der Reichskanzler beschlossen, anstelle der Häuser am Südrand der Ministergärten eine große Repräsentationsanlage für sich errichten zu lassen. Gedacht war nicht in erster Linie an eine neue Regierungszentrale, die tatsächlichen Erfordernissen der zu leistenden Arbeit genügen sollte. Vorrangig ging es um eine neue Kulisse für Hitler, denn selbst der zum Arbeitszimmer umgebaute ehemalige Saal der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße 78 und der neue Festssaal im Garten genügten ihm nicht. Seit 1935 waren systematisch die Grundstücke in der Voßstraße angekauft worden, darunter auch die damaligen Gesandtschaften Bayerns und Württembergs – im längst gleichgeschalteten Dritten Reich gab es dabei wenige Probleme. 13,5 Millionen Reichsmark kostete allein das. 16
Ärgerlicher war, dass auch die erst am 1. Oktober 1932 bezogene Geschäftsstelle des NSDAP-Gaus Berlin in der Voßstraße 11 weichen musste. Goebbels schrieb am 8. Dezember 1937: »Abends Abschied vom alten Gauhaus in der Voßstraße, das nun abgerissen wird. Alle alten Mitarbeiter da. Eine wehmütige Stimmung.« Der Umbau dieses Hauses zum Gauhauptquartier war übrigens der erste Auftrag überhaupt gewesen, den Albert Speer für die Hitler-Partei ausgeführt hatte – pikanterweise für Goebbels, der dem späteren Konkurrenten am 10. November 1932 noch »meine
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