Hitlers Berlin
Hitler eingerichtet werden, das für ausländische Besucher nur über mehrere, insgesamt 500 Meter lange Galerien erreichbar sein sollte.
Aber selbst dieser Bau wäre klein erschienen neben den beiden wichtigsten Objekten der Nord-Süd-Achse: dem Triumphbogen und der »Großen Halle«. Für Hitler von absolut zentraler Bedeutung war die These vom »Dolchstoß«, also die Behauptung, das deutsche Heer sei im Ersten Weltkrieg militärisch »unbesiegt« geblieben und lediglich durch den »Verrat« der Heimat unterlegen. Er gedachte, dem »ungeschlagenen« Heer einen Triumphbogen errichten zu lassen, der den Arc de Triomphe in Paris zum Vorbild hatte, ihn aber um das Zwölffache übertreffen sollte. Um die Realisierbarkeit eines derartig monströsen Bauwerks zu testen, wurde in Schöneberg ein »Großbelastungskörper« aus Beton errichtet, der, auf einer Grundfläche von nur 135 Quadratmetern, 12650 Tonnen wog. Selbst unter dieser Last gab der Berliner Grund in knapp drei Jahren (die erste Messung fand im August 1941 statt, die letzte überlieferte im Juni 1944) nur 19 Zentimeter nach, bei einer gleichzeitigen Neigung von drei Zentimetern. Ein so mäßiges Einsacken war nach Ansicht von Speers Ingenieuren vertretbar. Der Großbelastungskörper steht noch heute zwischen General-Pape-Straße und Löwenhardtdamm, da ein Abriss extrem teuer gewesen wäre. Seit 1995 genießt der Betonklotz Denkmalschutz.
Die völlig wahnsinnigen Dimensionen von Speers Entwurf lassen sich vor allem an der »Großen Halle« erkennen, einer 250 Meter umspannenden Kuppel, die aus einem 74 Meter hohen Sockel emporwachsen sollte. 150 000 Menschen sollten in ihr Hitler-Reden hören können. Mit 290 Metern Gesamthöhe hätte die »Große Halle« das Turmrestaurant des in den sechziger Jahren errichteten Fernsehturms auf dem Alexanderplatz um mehr als 50 Meter überragt. Es sollte mehr Raum umbaut werden als bei allen damaligen Wolkenkratzern New Yorks zusammen. Unter heutigen Bauexperten ist umstritten, ob die »Große Halle« mit den Techniken des 21. Jahrhunderts zu realisieren wäre; ganz sicher war es unmöglich, sie aus dem relativ schlichten Stahlbeton zu bauen, der Albert Speer damals zur Verfügung stand. Und selbst wenn der Plan mit neuestem High-Tech und ohne Rücksicht auf Kosten heute verwirklicht würde, wäre die »Große Halle« nicht besonders langlebig: Die Kräfte, die schon durch mäßigen Wind auf die riesige Oberfläche der Kuppelschale einwirken würden, wären gewaltig – wahrscheinlich könnte ein kräftiger Herbststurm die Kuppel zerstören. 14
Nicht nur die Größe dieser beiden Einzelobjekte der Nord-Süd-Achse sprengten jedes Maß, auch die geschätzten Kosten lagen in einer neuen Dimension. Weil Speer das Projekt zu Lebzeiten Hitlers fertig stellen wollte, der schon vor seinem 50. Geburtstag 1939 öfter davon sprach, nicht mehr allzu viel Zeit zu haben, setzte er als Ziel das Jahr 1950 an. Eine vorsichtige Schätzung der Baukosten ging von »vier bis sechs Milliarden Reichsmark« aus, also bis zu 500 Millionen Reichsmark pro Jahr. Wie verlässlich diese Rechnungen sind, ist unklar, weil niemand die Zahlen überprüfte. Der Finanzchef in Speers eigens gegründeter Behörde »Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt« (GBI) brachte die geringe Rolle ordentlicher Haushaltsführung auf die Formel, »daß sich bei der Stadt die Ausgaben nach den Einnahmen gerichtet hätten und es bei uns umgekehrt sei, womit er das Thema als erschöpfend behandelt ansehe«. Geld war übrigens tatsächlich nicht das gravierendste Problem Speers. Viel bedrohlicher für das Projekt war, dass sämtliche aktiven Steinbrüche Mitteleuropas nicht in der Lage gewesen wären, in nur zwölf Jahren genügend Werkstein für die Fassaden der Nord-Süd-Achse zu liefern. Die tragenden Wände der meisten Gebäude sollten ohnehin aus Stahlbeton und Ziegelsteinen bestehen, doch auch dafür gab es nicht annähernd ausreichend Kapazitäten. Dabei war Berlin nur eine von fünf Städten, die umfassend umgebaut werden sollten – es war zwar das umfangreichste einzelne Bauvorhaben, aber in der Summe noch größer wären die Projekte für die »Führerstädte« München, Nürnberg, Linz und Hamburg gewesen. Außerdem sollte jede der mehr als 30 »Gauhauptstädte« ein eigenes, riesiges »Gauforum« erhalten, mit mehreren großzügigen Verwaltungsgebäuden, einem großen Aufmarschplatz und einer Halle für Massenversammlungen. Also griff Speer auf eine
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