Hitlers Berlin
Lagebesprechungen fanden in der Regel in seinem alten Arbeitszimmer zum Garten hin statt, das bis Anfang 1934 der Festsaal im Reichskanzlei-Erweiterungsbau Wilhelmstraße 78 gewesen war; nur noch selten hielt er sich in der Neuen Reichskanzlei an der Voßstraße auf, denn Speers Bau war kaum mehr zu beheizen. Außerdem konnte Hitler seinen Privatbunker im Garten von hier aus viel schneller erreichen als von den Repräsentationsräumen aus. Der eilig fertig gestellte neue Hauptbunker unter dem Park diente zunächst lediglich als Luftschutzkeller, den der Reichskanzler und sein Stab bei Luftalarm aufsuchten.
Die Berliner Bevölkerung erfuhr nichts davon, dass Hitler wieder in der Reichshauptstadt weilte. Seine Verlautbarungen trugen wie fast immer im Krieg die Ortsangabe Führerhauptquartier. Öffentliche Auftritte gab es schon seit langem nicht mehr; selbst in Goebbels’ bevorzugtem Propaganda-Instrument, der Wochenschau, wurden keine aktuellen HitlerAufnahmen mehr gezeigt. Die letzte Rundfunkansprache seines Lebens hielt Hitler am 30. Januar 1945 vom Studio in der Reichskanzlei aus; sie bestand nur noch aus Allgemeinplätzen: »Ich erwarte von jedem Deutschen, daß er seine Pflicht bis zum Äußersten erfüllt, daß er jedes Opfer, das von ihm gefordert wird und werden muß, auf sich nimmt.« Ursula von Kardorff notierte über den zwölften Jahrestag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler in ihr Tagebuch: »Früher zogen an diesem Abend endlose Fackelschlangen durch die Straßen, Massenaufgebot einer begeisterten Menge. Heute wird ein anderer Marsch geblasen: Die Straßen menschenleer, alles bereit, in Keller und Bunker zu flitzen.« 2 Die Lage war gespannt. Am Abend des 29. Januar hatten wieder einige kleinere Luftangriffe stattgefunden, nachdem schlechtes Wetter die Hauptstadt immerhin zehn Tage lang vor nächtlichen Alarmen bewahrt hatte. Was die Berliner nicht wussten: In England bereiteten die USAAF den bislang größten Angriff auf die Reichshauptstadt vor. Am 31. Januar beschlossen die Stabschefs der britischen und der amerikanischen Armeen in Europa offiziell, nunmehr verstärkt Ziele in Mitteldeutschland anzugreifen, in Sachsen und Brandenburg vor allem. Die Rote Armee stand kurz vor der Oder, und die Wehrmacht brauchte jetzt nichts dringender als eine wenigstens halbwegs funktionierende Infrastruktur hinter der Ostfront. Gerade diese wollten RAF und USAAF stören. Es gab im alliierten Generalstab auch Überlegungen, eine neue »Luftschlacht um Berlin« zu beginnen wie im Winter 1943/44. Rund 20 000 Tonnen Bomben könnten, so schlug es das britische Bomber Command vor, in vier Nächten und drei Tagen über der Reichshauptstadt abgeladen werden. Dieser Plan wurde zwar verworfen, aber die 8. US-Luftflotte sollte einen vernichtenden Angriff auf das Regierungsviertel und die innerstädtische Kleinindustrie fliegen.
Am 3. Februar 1945 heulten die Sirenen um 10.27 Uhr zum ersten Mal. Zwölf Minuten später war klar, dass der Stadt eine weitere Höllenfahrt bevorstand: Weit über tausend Flugzeuge blinkten auf den Radarschirmen der Berliner Luftverteidigung, die aber kaum noch Jagdflugzeuge einsetzen konnte, sondern nur ihre wenig effektiven Flakgeschütze. 1 437 US-Bomber waren in England gestartet, 1370 über dem Zielgebiet angekommen, die meisten über Berlin; die USAAF waren inzwischen so stark, dass sie parallel eine Raffinerie in Magdeburg angreifen konnten. Die Berliner Flakstellungen konnten nur 25 »Fliegende Festungen« vom Himmel holen.Weitere 404 kehrten zwar beschädigt zu ihren Basen zurück, doch nur sieben davon waren wirklich schwer getroffen. Insgesamt waren die US-Verluste gering. Ganz anders am Boden; Spreng- und Brandsätze zerstörten die südliche Friedrichstadt und Kreuzberg weitgehend. Ursula von Kardorff notierte: »Heute der schwerste Angriff auf die Innenstadt, den es je gegeben hat. Daß eine Steigerung überhaupt noch möglich war, hätte ich nicht gedacht. War zum Glück im Bunker, aber auch dort setzte eine leichte Panik ein. Weiber kreischten los, sobald das Licht endgültig ausging. (…) Am Potsdamer Platz brannte das Columbushaus wie eine Fackel. Wir wanderten inmitten eines Stromes grauer, gebückter Gestalten, die ihre Habseligkeiten mit sich trugen. Ausgebombte, mühselig beladene Kreaturen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, um ins Nichts zu gehen. Kaum zu merken, daß der Abend sich über die glühende Stadt senkte, so dunkel war es auch tagsüber schon.« Besonders
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