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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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traf es den Wilhelmplatz und seine Umgebung. Martin Bormann schrieb nüchtern: »Vormittags schwerer Angriff auf Berlin (Neue Reichskanzlei, Führerwohnung – Eingangshalle, Speisesaal, Wintergarten, Parteikanzlei).« Mindestens 58 schwere Sprengbomben schlugen allein auf dem Gelände der Reichskanzlei ein, die aber Hitler und seine Entourage keinen Moment gefährdeten: Die 3,80 Meter dicke Stahlbetondecke, verstärkt mit Eisenbahnschienen, sowie die 50 Zentimeter messenden Wände im Inneren des Bunkers boten ausreichend Schutz. Die Führung des Dritten Reiches war auch nicht das Ziel der USAAF; die Strategen im alliierten Oberkommando rechneten nicht damit, Hitler direkt töten zu können, und machten daher den gesamten Krieg über nicht gezielt Jagd auf ihn. Allerdings unterbrach das Bombardement die Wasser- und Stromversorgung der Reichskanzlei, selbst Telefon und Heizung funktionierten tagelang nicht.
    Bormann klagte am 6. Februar in einem Brief an seine Frau: »Wir leben hier bescheiden und risikoreich. (…) Wir sitzen noch immer in kalten Räumen und unglücklicherweise ist kein Bad zu bekommen.« Doch für die Führung wurde schnell gearbeitet; binnen weniger Tage taten Technik und sanitäre Einrichtungen der Reichskanzlei wieder ihren Dienst.
    Anders sah es für die Bevölkerung aus, wie sich an Goebbels’ täglichen Diktaten erkennen lässt: »Die Lage in Berlin selbst infolge des schweren amerikanischen Terrorangriffs am Samstag nimmt sich zur Stunde noch etwas trostlos aus«, ließ er seinen Sekretär am Morgen des 5. Februar schreiben. »Die Straßen bieten noch den Anblick eines wüsten Trümmerfeldes, insbesondere im Zentrum. Es ist uns auch in der Nacht noch nicht gelungen, sämtliche Brände zu löschen. (…) Die Wasserkalamität macht sich am stärksten bemerkbar. Zwar sind die Wasserwerke nicht selbst angeschlagen, aber in der Stadt sind so viele Wasserrohrbrüche zu verzeichnen, daß praktisch die Haushalte ohne Wasser sind. Auch die Elektrizität hat schwerste Schäden davongetragen.« Ein damals 15-jähriger Kreuzberger gab rückblickend über den 3. Februar zu Protokoll: »Es gab weder Licht noch Gas noch Wasser. Wasser mußte man aus einem 300 Meter entfernten Hahn holen und mußte dort aber noch fünf bis fünfzehn Minuten warten, bis man an die Reihe kam. (…) In der Lindenstraße zweigt am Kammergericht die Hollmannstraße ab. Hätte hier nicht ein Straßenschild gestanden, dann hätte man nicht gesehen, daß hier einmal eine Straße gewesen war. Straße, Bürgersteig, Häuser, alles waren gleich hohe Trümmerberge, und über allem lag der süßliche Leichengeruch.« Ursula von Kardorff schrieb in ihr Tagebuch: »Warum stellt sich niemand auf die Straße und schreit ›Genug, genug‹, warum wird niemand irrsinnig? Warum gibt es keine Revolution?« Die Antwort ist einfach: Die Berliner waren ausschließlich mit dem Überleben beschäftigt. 3
    Die Amerikaner waren mit der Wirkung ihres Angriffs überaus zufrieden: »3000-Tonnen-Angriff trifft Berlin beim Flächenbombardement auf das Reich«, titelte die Ne w York Times am 4. Februar 1945. Die Wa shington Post zitierte den Befehlshaber des Angriffs, Colonel Lewis D. Lyle: »Herrliches Bombenwetter« habe geherrscht. Man habe die Ziele mit bloßem Auge ausmachen können; erst der durch Detonationen aufgewirbelte Staub und die Rauchwolken der Brände hätten die Bombenschützen gezwungen, auf ihre Zielgeräte zurückzugreifen. Das Blatt kommentierte: »Noch nie in diesem Krieg wurde ein Zielgebiet mit Bomben derartig gesättigt.« In ihrer Begeisterung über die erkennbaren materiellen Schäden überschätzen die US-Militärs die Verluste an Menschenleben erheblich. Von 20 000 bis 25 000 Toten war in den offiziellen Berichten und entsprechend auch in amerikanischen Zeitungen die Rede. Tatsächlich starben bei diesem gut einstündigen Angriff nach in ternen Angaben des Oberkommandos der Wehrmacht 2894 Deutsche. Andere Berichte zählten 2 541 Tote. Das waren zwar mehr Opfer als bei jedem anderen einzelnen Angriff auf die Reichshauptstadt, aber bei weitem weniger als bei den entsetzlichen Feuerstürmen in Hamburg Ende Juli 1943 oder, zehn Tage nach der Attacke auf Berlin, in Dresden. 4 Von nun gab es in Berlin beinahe täglich Luftalarm; häufig mehrfach am selben Tag. Vor allem kleine, aber gefährliche Angriffe von Schnellbombern machten jede ungestörte Nachtruhe unmöglich. Zusätzlich flogen die USAAF weitere Großangriffe bei Tageslicht,

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