Hitlers Berlin
wird. Man sollte auch in Betracht ziehen, dass für Hitler Selbstmord mehrfach zu den denkbaren Optionen gehört hatte – nach dem gescheiterten Putsch 1923 ebenso wie im Dezember 1932. Damals, auf dem Höhepunkt der Strasser-Krise, als die NSDAP wegen seines Kurses des »Alles oder nichts« wieder einmal kurz vor der Spaltung stand, hatte er mit diesem Gedanken gespielt; übrigens im Hotel Kaiserhof, keine 200 Meter Luftlinie vom Führerbunker entfernt. Hinzu kommt, dass sich Hitlers Zustand seit dem Attentat vom 20. Juli rapide verschlechtert hatte. Die Parkinsonsche Krankheit ließ seine linke Hand so stark zittern, dass er sie oft hinter seinem Rücken verbarg. Möglicherweise hatte er bereits Mitte Januar 1945 die Vorstellung aufgegeben, sich in den Obersalzberg zurückzuziehen, in die Bunker Dutzende Meter unter seiner Alpenresidenz Berghof. Dennoch wurde dort auf Anweisung von Martin Bormann mit Hochdruck an weiteren unterirdischen Bauten gearbeitet, und zwar bis Ende April.
Anfang Februar ließ Hitler das unvollendete Modell des projektierten Umbaus der Stadt Linz nach Berlin transportieren und in einem halbwegs sicheren Kellerraum unter der Neuen Reichskanzlei aufstellen. Der verantwortliche Architekt, Hermann Giesler, musste wieder und wieder mit dem Diktator das Modell betrachten; in seinen apologetischen Memoiren schrieb dieser Konkurrent Speers: »Als ich dann Adolf Hitler in diesen Raum führte, stand er lange, wie überwältigt durch den Gesamteindruck, nur schauend. (…) Was mochte in ihm vorgehen, welche Gedanken bewegten ihn? Noch nie hatte ich ihn an einem Modell so ernst, so entrückt und bewegt zugleich gesehen. (…) In den folgenden Tagen begleitete ich Adolf Hitler meist zweimal täglich zum Linzer Modell. Es war fast immer dasselbe: Ein langes, versunkenes, traumhaftes Schauen zu Beginn, dem dann eine Unterhaltung über Einzelheiten der im Modell dargestellten Bauten und Brücken folgte. (…) Während meines weiteren Aufenthalts in der Reichskanzlei führte Adolf Hitler wieder Offiziere und Männer, die er schätzte, zu dem Linzer Modell und erläuterte seine Stadtplanung.« Seine Heimatstadt hätte nach dem »Endsieg« zu seinem Alterssitz ausgebaut worden sollen; hier wollte er ein neues Führer-Museum begründen und schließlich in einem gigantischen Mausoleum bestattet werden. Goebbels hielt über das Interesse Hitlers an diesen Plänen fest: »Der Führer hat sich in seinen wenigen Mußestunden in der Nacht mit neuen Bauplänen für Linz beschäftigt. Professor Giesler hat sie ihm vorgeführt. Diese Pläne sind, wie der Führer mir berichtet, großartig ausgefallen. Der Führer hält sie zwar vorerst nicht für durchführbar, aber sie geben ihm doch in seinem harten und unerbitt lichen Arbeitsrhythmus eine gewisse Entspannung, was ja durchaus zu begrüßen ist.«
Dagegen war der Umbau Berlins schon lange kein Thema mehr im Hauptquartier; mehr als zwanzig Jahre später bemerkte Speer in seinen Erinnerungen verletzt: »Auch sein nicht nachlassendes Interesse an den Plänen der Stadt, in die er sich zurückziehen wollte, nahm allmählich Fluchtcharakter an. Der Chefarchitekt von Linz, Hermann Giesler, wurde in der letzten Kriegszeit immer häufiger in das Hauptquartier gebeten, um seine Entwürfe vorzulegen, während Hitler die Hamburger, Berliner, Nürnberger oder Münchener Pläne, die ihm einst so viel bedeutet hatten, kaum noch anforderte. Der Tod könne für ihn nur noch eine Erlösung bedeuten, denke er an die Qualen, die er jetzt auszustehen habe, meinte er dann bedrückt. Dieser Stimmung entsprach es, daß er beim Betrachten der Linzer Pläne immer wieder die Entwürfe zu seinem Grabmal hervorholte.« 6
Ungefähr um die gleiche Zeit wuchs im Hauptquartier der westlichen Alliierten in London eine irreale Sorge – die Führung des Dritten Reichs könnte sich in eine vorbereitete »Alpenfestung« in Oberbayern und Tirol zurückziehen, um den Krieg von dieser kaum zu stürmenden natürlichen Befestigung aus weiterzuführen. Genährt wurde diese Sorge von der Tatsache, dass britische Panzer problemlos durch die norddeutsche Tiefebene rollten und zwei US-Armeen im März 1945 ohne die erwartete Gegenwehr Richtung Magdeburg vorstießen. Selten trafen sie noch auf kampfkräftige deutsche Truppen. Der US-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower fürchtete, die stärksten deutschen Einheiten einschließlich der Waffen-SS könnten sich bereits nach Süden zurückgezogen haben. Aufgrund
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