Hitlers Berlin
Pianisten Karlrobert Kreiten zum Beispiel wurden 1943 einige unbedachte Äußerungen über den »verlorenen Krieg« zum Verhängnis. Ebenfalls zum »resistenten« Verhalten zählte das Abhören feindlicher Sender. Laut den Verfahren vor dem Sondergericht Berlin wurde in fast zwei Dritteln aller angezeigten Fälle die BBC illegal gehört, knapp ein Zehntel der verurteilten »Rundfunkverbrecher« hatte Radio Moskau eingeschaltet. Mindestens mehrere Monate Gefängnis, manchmal bis zu sechs Jahre Zuchthaus für solche »Vergehen« verhängten Richter, die sich der NS-Ideologie mehr verpflichtet fühlten als dem Recht. 25
Obwohl die bekannten Widerstandskreise in Militär und konservativer Elite eher hauptstädtische als Berliner Opposition waren, gab es auch Aktionen von Hitler-Gegnern, die direkt mit den lokalen Verhältnissen zusammenhingen. Ein Beispiel dafür ist die Brandstiftung in der Propaganda-Ausstellung »Das Sowjetparadies« im Lustgarten am
18. Mai 1942. Goebbels diktierte darüber seinem Sekretär: »Mir wird spät abends mitgeteilt, daß bei der Anti-Sowjet-Ausstellung in Berlin ein Brand, wahrscheinlich auf Sabotage zurückzuführen, ausgebrochen sei. Er kann gerade noch rechtzeitig gelöscht werden.« Nach den Ermittlungen der Stapo-Stelle legten gegen 20 Uhr mehrere Täter Brandsätze. Zwei Flaschen mit Schwefelkohlenphosphor explodierten in einer nachgebauten Bauernhütte, elf Besucher wurden leicht verletzt. Die Schäden wurden noch in derselben Nacht beseitigt, am nächsten Tag öffnete die Ausstellung wieder. Es gab laut Stapo-Bericht ungefähr 2 000 Zeugen des Anschlags; die Zeitungen berichteten mit keinem Wort darüber. Der Propagandaminister schloss aus dem Anschlag: »Man sieht auch daran wieder, daß sich doch in unseren großen Städten immerhin noch eine wenn auch kleine, so doch nicht ganz außer acht zu lassende kommunistische Opposition festgesetzt hat. Im Augenblick kann sie natürlich keine Gefahr für uns darstellen, aber man tut doch gut daran, die Entwicklung sehr scharf zu beobachten.«
Der Anschlag auf die Ausstellung war die Tat zweier seit kurzem zusammenarbeitender Gruppen: des Kreises um Herbert Baum sowie Joachim Frankes und seiner Freunde. Baum, geboren 1912, war für die Nazis gleich im doppelten Sinne ein Todfeind: Er war nicht nur Funk
Blutrichter: Roland Freisler im Kammergericht, August 1944
tionär der illegalen kommunistischen Jugend, sondern zudem wie alle Mitglieder seines Kreises Jude. Seit 1933 hatte Baum Schicksalsgenossen um sich geschart und allein damit resistentes Verhalten an den Tag gelegt. Wahrscheinlich war die Gruppe auch an verschiedenen Aktionen kommunistischer Hitler-Gegner beteiligt, am Verteilen von Flugblättern und ähnlichem. Seit der Einführung des »Judensterns« verfolgte die BaumGruppe zwei entgegengesetzte Ziele: einerseits die Vorbereitung auf das Untertauchen, andererseits das Erregen von öffentlichem Aufsehen. Der Kopf der zweiten am Brandanschlag beteiligten Gruppe war Joachim Franke, Ingenieur in der Rüstungsindustrie und Kommunist. Seit Anfang
1942 kooperierten beide Gruppen. Unter anderem »konfiszierten« sie bei einem dreisten Coup am 7. Mai in der Lietzenburger Straße (Wilmersdorf) bei einer jüdischen Familie Teppiche und anderes im Wert von
20 000 Reichsmark, um Mittel für das Abtauchen zu bekommen. Je ein Mitglied des Kreises um Baum und um Franke gaben sich dabei als Gestapo-Beamte aus. Doch die Bestohlenen zeigten den Vorfall bei der Polizei an und beschrieben die Täter genau.
Wie die Entscheidung fiel, einen Brandanschlag gegen die Propagandaschau im Lustgarten zu unternehmen, ist unklar; wahrscheinlich wirkten mehrere Faktoren zusammen: der zunehmende Fahndungsdruck, die ideologische Verpflichtung, etwas zu tun, vielleicht auch ein Agent provocateur. Auf jeden Fall gab es in der Baum-Gruppe kontroverse Diskussionen, ob der Anschlag gewagt werden sollte. Nach seinem Misslingen konnte die Gestapo binnen vier Tagen 25 Mitglieder beider Kreise verhaften; von Juni bis Oktober wurden weitere 29 angebliche oder tatsächliche Mitwisser und Helfer inhaftiert. Insgesamt 28 der 54 Verhafteten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Darüber hinaus ließ Heinrich Himmler als Repressalie wahllos 154 Berliner Juden verhaften und mit 96 weiteren, die bereits im KZ Sachsenhausen saßen, erschießen. Herbert Baum beging, vermutlich nach schweren Folterungen, am 10. Juni 1942 im Untersuchungsgefängnis Moabit Selbstmord.
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