Hitlers Berlin
Der Anschlag auf die antisowjetische Ausstellung war ohne Zweifel mutig, auch wenn sie viele Unbeteiligte das Leben kostete. Doch ist die Aktion als ein Akt von Verzweiflungswiderstand zu beurteilen. 26 Ein anderes bekanntes Beispiel für lokalen Widerstand ist die Berliner »Rote Kapelle«. Der Name wurde der Gruppe von der Gestapo gegeben und führt in die Irre, denn eigentlich bezeichnet dieser Begriff eine von Moskau gesteuerte kommunistische Spionageorganisation unter der Leitung von Leopold Trepper, die unter anderem in Brüssel und Paris aktiv war. Zwischen Trepper und der Berliner Gruppe um Arvid und Mildred Harnack sowie Harro und Libertas Schulze-Boysen bestanden jedoch nur sehr lockere Kontakte. Bei den Berlinern handelte es sich nicht um eine Organisation von Geheimdienstlern, sondern um einen lockeren Freundeskreis von pro-kommunistischen, aber meist nicht organisatorisch mit der KPD verbundenen Hitler-Gegnern. Schulze-Boysen, der im Reichsluftfahrtministerium arbeitete, gab zwar auch Geheimpapiere nach Moskau weiter, doch eigentlich stellte die Gruppe Flugblätter her und klebte Zettel an Hauswände, verteilte Untergrundzeitungen und unterstützte andere Regimegegner. Obwohl die Harnack-Schulze-BoysenGruppe insgesamt recht unvorsichtig agierte, kam die Gestapo ihr lange nicht auf die Schliche. Erst als im Sommer 1942 ein chiffrierter Funkspruch aus Moskau vom Oktober 1941 entschlüsselt wurde, in dem der sowjetische Geheimdienst seinen Brüsseler Residenten befahl, in Berlin mit Schulze-Boysen und dem Schriftsteller Adam Kuckhoff Kontakt aufzunehmen, gelang den NS-Behörden die Enttarnung der Gruppe. Ab dem 30. August 1942 wurde der gesamte Freundeskreis aufgerollt; 126 von ihnen, Beamte, Künstler und Schriftsteller ebenso wie linke Intellektuelle, wurden verhaftet. Vier Männer begingen in der Haft Selbst mord, fünf wurden ohne Verfahren umgebracht, 48 Inhaftierte zum Tode verurteilt und hingerichtet, die übrigen mit Zuchthaus oder KZ bestraft. Das als Berliner Rote Kapelle bekannte Netzwerk war eine in ihrer Vielfältigkeit so nur in Berlin mögliche Gruppe und sicherlich einer der größten parteiungebundenen Widerstandszirkel im Dritten Reich. 27
Ganz ungewöhnlich für die vorwiegend protestantische Millionenstadt Berlin war schließlich der Widerstand, den der katholische Priester Bernhard Lichtenberg leistete. Der 1875 geborene Geistliche war in der Weimarer Republik Zentrumsabgeordneter der Stadtverordnetenversammlung, amtierte seit 1932 als Pfarrer an der Hedwigskathedrale in Mitte und ab 1938 als Dompropst. Schon kurz nach der Machtübernahme der NSDAP wurde seine Wohnung zum ersten Mal durchsucht. Lichtenberg ließ sich nicht einschüchtern. Er drängte zum Beispiel die deutsche Bischofskonferenz zu einem öffentlichen Protest gegen den Judenboykott am 1. April 1933, freilich ohne Erfolg. Später gehörte er zum NS-kritischen Kreis um den Berliner Erzbischof Konrad Graf Preysing. Nach dem Pogrom im November 1938 lud er zu einem Gottesdienst »für die verfolgten nicht-arischen Christen und für die Juden« ein. Dabei erklärte er öffentlich: »Was gestern war, wissen wir. Was morgen ist, wissen wir nicht, aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt; draußen brennt der Tempel – das ist auch ein Gotteshaus.« Lichtenberg begründete ein bischöfliches »Hilfswerk für nicht-arische Christen«, das sich, ähnlich wie eine entsprechende Einrichtung der evangelischen Kirche um die Berliner Pfarrer Heinrich Grüber und Werner Sylten, zwar vorrangig, aber nicht ausschließlich um Angehörige der eigenen Konfession kümmerte. 1941 protestierte Lichtenberg in einem Brief an Reichsärzteführer Leonardo Conti gegen den Massenmord an körperlich und geistig behinderten Menschen. Selbst das ließ das Regime noch »durchgehen«, wohl aus Sorge vor Solidarisierungseffekten bei Berliner Katholiken.
Als Lichtenberg allerdings nach einem seiner zahlreichen Gebete zugunsten verfolgter Juden von Zuhörern angezeigt wurde, hatte die Gestapo eine Handhabe: Am 23.Oktober 1941 wurde Lichtenberg verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Tegel absaß. Danach sollte der schwerkranke 68-Jährige ins KZ Dachau gebracht werden, doch starb er am 5. November 1943 während des Transportes nach Oberbayern in Hof. Papst Johannes Paul II. sprach 1996 in Berlin Bern hard Lichtenberg selig –und zwar bei einer Messe ausgerechnet im Olympiastadion. 28
Berlin war nur insofern »Hauptstadt des
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