Hitlers Berlin
Widerstands«, als es der zentrale Ort für alle Behörden und staatlichen Machteinrichtungen war. Schon im Zusammenhang mit den Wahlergebnissen für die antidemokratischen Parteien in den letzten Jahren der Weimarer Republik ist gezeigt worden, dass das Bild vom besonders »demokratischen« Berlin nicht zutrifft. Richtig ist allerdings, dass dank der schieren Größe der Stadt für manche Widerstandsaktivitäten, zum Beispiel das Verstecken verfolgter Juden, bessere Bedingungen herrschten als in kleineren Kommunen. Eine generelle Einschätzung des lokalen Widerstandes ist jedoch mangels überzeugender Studien bisher nicht möglich.
1945
6 SCHLACHTFELD
Das letzte Führerhauptquartier
Ohne jedes Aufheben rollte in der Morgendämmerung des 16. Januar 1945, eines kalten Winterdienstags, Hitlers Sonderzug in Berlin ein – zum letzten Mal. Ziel des Zuges war der Bahnhof Grunewald, jene inmitten von Wäldern gelegene Station, von der aus seit 1941 Dutzende Deportationszüge mit Berliner Juden nach Lodz, Riga, Auschwitz und Theresienstadt abgefahren waren. Hitler stieg in seinen wartenden schweren Mercedes um, ließ sich zur Wilhelmstraße fahren und ging zu Bett. In der Reichskanzlei herrschte »reges Treiben«, wie sich sein persönlicher Chauffeur, Erich Kempka, erinnerte: »Niemand war auf unser Kommen vorbereitet. Der Entschluß Adolf Hitlers muß sehr plötzlich und gegen den Willen Bormanns und seines Stabes gefaßt worden sein.« Tatsächlich hatte der Staatschef kurzfristig entschieden, wegen der sowjetischen Offensive gegen Ostpreußen von seinem Hauptquartier Adlerhorst nach Berlin zu wechseln. Bormanns knappe Kalendernotizen belegen das. Am 15.Januar 1945 schrieb Hitlers Sekretär, einer der mächtigsten Männer des NS-Regimes: »Wegen des Großangriffs im Osten nachmittags 16.30 Uhr Abfahrt des Führerzuges nach Berlin.« Bormann selbst, der gerade in Berchtesgaden die Vorbereitungen für Hitlers Eintreffen überwachte, musste »auf [dem] Obersalzberg warten«, wie er in derselben Notiz festhielt, und konnte erst drei Tage später in die Reichshauptstadt aufbrechen.
Große Teile der Berliner Innenstadt lagen Mitte Januar 1945 in Trümmern; auch das Regierungsviertel zwischen Reichstag und Kochstraße war mehrfach schwer getroffen worden: Die Neue Reichskanzlei trug zahlreiche Spuren von Bomben; viele Fenster des Riesenbaus waren vom Explosionsdruck geborsten, der Ehrenhof sowie die einst mit einem riesigen Oberlicht ausgestattete Marmorgalerie mit Trümmern übersät. Auch die übrigen Gebäude des gewaltigen Komplexes waren schwer gezeichnet: Der 1935/36 zusammen mit dem Festsaal in den Ministergärten errichtete Wintergarten konnte nicht mehr benutzt werden, ebenso wenig das Musikzimmer und das so genannte Raucherzimmer im Barockpalais Wilhelmstraße 77. Dessen nördlicher Flügel aber, die Kanzlerwohnung, hatte die bisherigen Bombardements nahezu unbeschadet überstanden, auch wenn Putz von den Decken rieselte. Mitte Januar konnte dieser Bauteil nach einigen Renovierungen als bewohnbar gelten. Am selben Tag, an dem Hitler in Grunewald ankam, diktierte der Propagandaminister seinem Sekretär: »Der letzte Mosquito-Angriff auf Berlin hat im Regierungsviertel ziemliche Verwüstungen angerichtet, und zwar durch eine schwere Mine, die am Pariser Platz niederging.Von der ist auch unser eigenes Haus durchgepustet worden.« 1
Es ist nicht überliefert, ob Hitler bei seiner Ankunft in Berlin überhaupt Notiz von der Zerstörung nahm. Schon bei seinem letzten Aufenthalt Ende 1944 war die Lage in der Hauptstadt verheerend gewesen. Jedoch soll er sich im Januar 1945 sogar über zynische Witze amüsiert haben, wie seine Privatsekretärin Traudl Junge berichtete: »Jemand erklärte, Berlin sei sehr praktisch als Hauptquartier, man könne bald mit der S-Bahn von der Ostfront zur Westfront fahren.« Eine andere Wahrnehmung diktierte Goebbels seinem Stenografen – allerdings eindeutig, um sich selbst Mut zu machen: Hitler werde »mit größter Energie darangehen, an der Mittelfront wieder eine halbwegs klare Situation zu schaffen«. Eine Woche später befand der Propagandaminister: »Alles in allem kann ich feststellen, daß der Führer ein Wunder an Mensch ist. Keine Not und keine Gefahr vermag ihn niederzuwerfen oder auch nur niederzudrücken. Er wirkt umso größer, je größer die Schwierigkeiten sind, die er zu überwinden hat.«
Hitler verbrachte die folgenden Wochen vor allem im Haus Wilhelmstraße 77.
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