Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
einen absolut authentischen Eindruck. Als die Kollegen von der Streife eintrafen, saß sie zitternd und mit angezogenen Beinen auf der Couch im Wohnzimmer. Das ist unten.«
»Sie hat ihnen nicht selbst die Tür geöffnet?«, fragte Verhoeven.
»Nein, nach meinen Informationen stand die Haustür offen, als die Kollegen ankamen.«
Verhoeven runzelte die Stirn. »Weil Irina Portner sie zu einem früheren Zeitpunkt geöffnet hatte?«, insistierte er.
»Sie sagt nein.«
»Dann hat der Artist die Tür aufgelassen, als er ging?«
»Das ist anzunehmen. Er lässt immer hinter sich auf, ganz egal, auf welche Weise er den Tatort verlässt.«
Verhoeven nickte gedankenverloren. »Neigt unser Mann gemeinhin dazu, sich die Dinge leicht zu machen?«
»Er neigt dazu, auf Nummer sicher zu gehen.« Wieczorek verstaute das Taschentuch wieder im Bund seiner Hose und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Er verlässt die Wohnungen seiner Opfer längst nicht immer auf demselben Weg, auf dem er reinkommt. Und manchmal spaziert er tatsächlich einfach zur Vordertür raus. Allerdings nur dann, wenn das Risiko für ihn kalkulierbar ist. Oder anders ausgedrückt: Wenn dieses Haus an einer Straße liegen würde, in der auch um diese Uhrzeit noch Betrieb herrscht, hätte er nicht das geringste Problem damit gehabt, auch auf dem Rückweg wieder aus dem Fenster zu kraxeln.«
Das sagt uns im Grunde weniger als nichts, dachte Winnie Heller.
»Vielleicht hat ja einer von den Nachbarn irgendwas gesehen«, schlug Verhoeven vor. »Bei diesen Temperaturen schlafen die meisten Leute ziemlich schlecht. Und wenn einer von
denen zufällig zum richtigen Zeitpunkt aus dem Fenster gesehen hätte …«
Er ließ den Satz offen und sah Wieczorek an.
»Meine Leute hören sich gerade um«, erwiderte dieser. »Aber machen Sie sich lieber keine allzu zu großen Hoffnungen. Ich würde mal vermuten, dass diese Sache hier genauso unbemerkt vonstattengegangen ist wie immer.«
Wie immer …
Die makabre Routine, die in diesem Satz steckte, jagte Winnie Heller einen Schauder über den Rücken. Ihr Blick suchte Verhoeven, und sie konnte sehen, dass es ihm ähnlich ging.
»Das hier ist bereits seine fünfte Vergewaltigung, oder?«, wandte sie sich wieder an Wieczorek.
»Leider Gottes schon die sechste.« Der Kollege vom K 12 seufzte. »Das erste Opfer war eine alleinstehende Geschäftsfrau. Ende Juni ist das gewesen. Seither hat unser Mann praktisch jede Woche eine Frau vergewaltigt. Die letzte vor fünf Tagen.«
»Ist das die, die noch immer im Koma liegt?«
Der Kollege von der Abteilung für Sexualdelikte bejahte. »Er hat sie halb tot geschlagen. Und zwar nachdem er sie betäubt hatte.«
»Also schlägt er sie nicht, weil sie sich wehren«, schloss Verhoeven, »sondern es geht ihm um die Gewalt als solche.«
»Oh ja«, nickte Wieczorek. »Dieser Kerl lässt ordentlich Dampf ab. Und er wird mit jeder Tat brutaler.«
»Aber wenn er so gut informiert ist, wie Sie sagen …« Winnie Heller biss sich auf die Unterlippe. »Warum wusste er dann nicht, dass Portner heute Abend früher nach Hause kommt?«
»Das ist eine verdammt gute Frage«, stöhnte Wieczorek. »Nach unseren Informationen kam Portner sonst nie vor eins, halb zwei in der Nacht nach Hause.«
»Und wer sagt, dass das heute anders war?«, fragte Verhoeven.
»Der Notarzt. Er hat Portners Leiche zwar nicht genau untersucht, weil ziemlich offensichtlich war, dass ihm nicht mehr zu helfen ist und er der Gerichtsmedizin nicht vorgreifen wollte. Aber er geht davon aus, dass der Mann schon eine Weile tot war, als er eintraf.«
»Was heißt eine Weile?«
»Zwei, zweieinhalb Stunden vielleicht.«
»Und wann ist der Notarzt hier eingetroffen?«
»Gegen zwei.«
Verhoeven sah auf die Uhr. »Also vor etwa einer Stunde.«
Wieczorek nickte. »Der Notruf ging um exakt vier Minuten vor halb zwei ein. Fünf Minuten brauchte die Streife, die sofort einen Krankenwagen alarmierte. Aber natürlich kümmerten sich die Sanitäter erst mal um die Frau.«
Winnie Hellers Augen blieben an der Skulptur hängen, die in der Ecke neben dem Bett stand. Eine Art stilisierter Akt, zumindest deuteten die wüst ineinander verschlungenen Rundungen in diese Richtung.
Wieczorek warf einen kurzen Blick auf das Display seines Pagers, der sich zwischenzeitlich gemeldet hatte. Aber die Sache schien nicht weiter wichtig zu sein. »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen jetzt das geknackte Fenster«, bot er an, indem er das Gerät
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