Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
erstes Opfer des Artisten vom Typus her den Frauen der aktuellen Serie entspräche?«, schaltete sich Winnie Heller wieder
in die Diskussion ein, auch um dem verbalen Schlagabtausch zwischen ihren Kollegen ein wenig die Schärfe zu nehmen.
»Nicht unbedingt.«
»Er hat also nicht zwingend mit charismatischen Mittvierzigerinnen begonnen?«, stichelte Winnie.
»Starke Frauen entsprechen unbezweifelbar seinem Idealbild«, erklärte Kolmar. »Aber es ist auch durchaus möglich, dass er sich nicht gleich an derart reife Persönlichkeiten herangetraut hat. Vielleicht hat die Tochter oder eine andere Verwandte einer solchen Frau als Ersatzobjekt herhalten müssen. «
Gegenüber von Winnie Heller sog Bredeney geräuschvoll die Luft ein. »So ’ne Scheiße«, zischte er leise, wobei nicht ganz ersichtlich war, ob er das Verhalten des Vergewaltigers oder die Ausführungen des Profilers meinte.
»Wenn es sich tatsächlich um eine jüngere Frau oder ein Mädchen gehandelt hätte, käme unsere Theorie von eben wieder zum Tragen«, murmelte Verhoeven neben ihm.
»Welche Theorie?«, schnappte Hinnrichs.
»Dass ein mögliches damaliges Opfer die Tat nicht zur Anzeige gebracht hat, um sich die Tortur eines Prozesses zu ersparen. «
»Viele junge Frauen und Mädchen haben Angst vor einer gerichtlichen und damit mehr oder weniger öffentlichen Auseinandersetzung mit ihrem Peiniger«, pflichtete Wieczorek ihm bei. »Wir müssen oft eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, um sicherzustellen, dass sie überhaupt vor Gericht erscheinen und aussagen.«
»Spekulationen«, fauchte Hinnrichs. »Nichts als wilde, blödsinnige Spekulationen.«
»Was die Klassifizierung angeht, stellt Ihr Mann das Musterbeispiel dessen dar, was wir unter einem organisierten Täter verstehen«, fuhr Kolmar mit seinen Erläuterungen fort, als
er merkte, dass sie drauf und dran waren, sich in die Haare zu geraten. »Er beobachtet seine Opfer vor der Tat. Er kennt ihre Lebensumstände. Er weiß, wann sie zu Bett gehen. Mit wem sie sich treffen. Wo sie einkaufen. Mit wem sie verkehren und so weiter und so fort. Und dabei geht er natürlich das Risiko ein, jemandem aufzufallen.«
»Das ist er aber nicht«, bemerkte Verhoeven.
Der Profiler nickte. »Das ist einer der Punkte, die diesen Fall so bemerkenswert machen. Wenn wir den Verlauf der Serie betrachten, wird deutlich, dass der Artist seine Vorgehensweise immer weiter perfektioniert.« Er sah zu den Fotos hinüber, die er mit Heftzwecken an die Wand gepinnt hatte. Sie zeigten die verschiedenen Tatorte, so wie die Spurensicherung sie vorgefunden hatte. »Die Erfahrung macht ihn raffinierter. Wenn wir Glück haben, auch überheblicher und damit unvorsichtig.«
»Und wenn wir Pech haben?«, fragte Bredeney.
Der OFA-Mann antwortete nicht. Stattdessen sagte er: »Was wir nach Auswertung der Fakten leider ebenfalls konstatieren müssen, ist – wie schon erwähnt – die rasante Zunahme seiner Gewaltbereitschaft. Wie gesagt haben wir den Eindruck gewonnen, dass sich das Ventil, das er in den Taten gefunden hat, relativ schnell abnutzt. Es gibt vergleichbare Serien, wo es Jahre dauert, bis der Täter auf dem Stand ist, den Ihr Mann bereits nach wenigen Wochen erreicht hat. Wenn überhaupt …«
»Und warum hat er Irina Portner dann so vergleichsweise wenig angetan?«, fragte Hinnrichs, ohne den Blick von dem Obduktionsbericht zu nehmen, den er in der Zwischenzeit zur Hand genommen hatte.
Kolmar lächelte. »Sie haben recht«, sagte er. »Auch das ist bemerkenswert. Denn erfahrungsgemäß ist eine Eskalation, wie wir sie bei Edyta Bary oder auch schon bei Merle Olsen beobachtet haben, irreversibel. Es ist wie ein Sog, in den so
ein Täter gerät. Und es muss gravierende Gründe geben, warum die Spirale bei dieser jüngsten Tat durchbrochen wurde.«
»Bisher sind wir davon ausgegangen, dass er nicht dazu gekommen ist, sich länger mit Irina Portner zu beschäftigen«, bemerkte Wieczorek, indem er zu Verhoeven hinübersah. »Aber das hat sich ja jetzt wohl erübrigt.«
»Nicht so schnell«, widersprach der Profiler. »Solange Sie die Herkunft und Bedeutung dieses mysteriösen Anrufs nicht geklärt haben, müssen wir diese Möglichkeit durchaus als Option betrachten.«
Da draußen läuft ein Monster frei herum, dachte Winnie Heller, das hast du gerade selbst gesagt. Wir haben keine Zeit für Optionen …
»Allerdings halte ich es für nicht sehr wahrscheinlich, dass die mangelnde Zeit der Grund
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