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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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Landschaftsbilder in ihren goldenen Rahmen an den Wänden – war schon vorhanden gewesen, als sie das Haus vor zehn Monaten gekauft hatten. »Es hätte auch der Kerl sein können, der auf uns geschossen hat.«
    Lyle nickte und spürte, wie sich die Haut in seinem Nacken schmerzhaft zusammenzog. Erst letzten Dienstag hatte er am Fenster des Wartezimmers im Parterre gestanden, als plötzlich eine Kugel an seinem Kopf vorbei pfiff. Sie hatte die Scheibe durchschlagen, ohne sie zu zerschmettern, und ein winziges Loch hinterlassen, das von einem kleinen Spinngewebe aus Sprüngen umgeben war. Er hatte die Kugel aus der Wand gegraben, aber da er sich mit Schusswaffen nicht auskannte, hatte er das Kaliber nicht erkennen können. Er konnte nur sicher sein, dass die Kugel für ihn bestimmt gewesen war. Der Vorfall hatte ihm einen Schrecken eingejagt und ließ ihn neuerdings ein wenig paranoid reagieren. Seitdem achtete er sorgfältig darauf, dass die Fenstervorhänge stets geschlossen waren.
    Der Grund war, wie er wusste, dass eine Reihe wohlhabender Kunden die Medien in Manhattan verlassen hatten und nach Astoria übergewechselt waren, seit Lyle in dem Spiel mitmischte. Keiner der anderen Spieler war darüber besonders glücklich. Eine Flut wütender, vor üblen Drohungen strotzender, anonymer Telefonanrufe während der letzten Wochen hatte das unmissverständlich klar gemacht. Aber einer von ihnen – verdammt, vielleicht sogar eine ganze Gruppe – hatte sich ausgerechnet, dass Telefonanrufe wahrscheinlich nicht ausreichten, und beschlossen, es mit der harten Gangart zu versuchen.
    Dennoch hatte Lyle darauf verzichtet, die Polizei zu benachrichtigen. Es heißt zwar, dass die einzige schlechte Publicity überhaupt keine Publicity ist, aber dies war eine Ausnahme. Eine Sensationsmeldung, dass auf ihn geschossen worden war, könnte das reinste Gift sein. Die Leute würden aus Angst fernbleiben, in eine Schießerei zwischen konkurrierenden Spiritisten zu geraten. Er konnte sich die Bemerkungen dazu sehr gut vorstellen: Ein Besuch bei diesem Medium könnte einem seinen geliebten Verstorbenen um einiges näher bringen, als einem lieb ist.
    O ja. Das würde das Geschäft bestimmt ankurbeln.
    Noch schlimmer war jedoch die beunruhigende Erkenntnis, dass jemand seinen Tod wünschte.
    Vielleicht nicht unbedingt seinen Tod, versuchte er sich einzureden. Vielleicht war der Schuss nur eine Warnung gewesen, ein Versuch, ihn abzuschrecken.
    Das zu glauben, wäre ihm sicher leichter gefallen, wenn er sich in jenem Augenblick in einem anderen Raum aufgehalten hätte.
    Seitdem war nichts mehr passiert. Die Lage würde sich beruhigen. Er müsste nur den Ball flach halten und abwarten, bis sich die Wogen glätteten.
    »Aber das war er nicht«, sagte Lyle. »Es war nur Junie Moonie mit ein paar Freunden. Da stand ich nun, wollte mich gerade ein wenig entspannen, nachdem ich festgestellt hatte, dass sie nur gekommen war, weil sie nicht bis zu ihrem Termin morgen warten konnte. Ich öffne die Tür, und was passiert? Bumms. Die Welt fängt an zu schwanken. Ich kann dir flüstern, Bruder, ich bin fast durchgedreht.«
    Charlies Grinsen fiel ein wenig säuerlich aus. »Das habe ich gemerkt, als du plötzlich deinen tollen Akzent verloren hast.«
    »Habe ich das?« Lyle musste lächeln. Er benutzte den leicht ostafrikanischen Akzent schon so lange – vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche –, dass er gemeint hatte, seine Detroiter Ghettostimme müsse längst begraben und vergessen sein. Wahrscheinlich nicht. »Das beweist nur, welche Sorgen ich mir deinetwegen gemacht habe. Du bist mein Blut. Ich wollte nicht, dass dieses Haus über deinem Kopf zusammenstürzt.«
    »Das weiß ich zu würdigen, Lyle, aber Jesus war mit mir, ich hatte keine Angst.«
    »Die hättest du aber haben sollen. Ein Erdbeben in New York. Wer hat schon mal von so etwas gehört?«
    »Vielleicht ist das eine Warnung, Lyle«, sagte Charlie, während er weiter auf und ab ging und von seiner Pepsi nippte. »Du weißt doch, das ist die Art und Weise des Herrn, uns zu ermahnen, dass wir anständig sein sollen.«
    Lyle schloss die Augen. Charlie, Charlie, Charlie. Du warst ein so lustiger Kerl, bevor du religiös wurdest.
    Meine Schuld, vermutete er. Mein Pech.
    Vor ein paar Jahren, als sie einen kleinen spiritistischen Laden in Dearborn hatten, war ein Gesundbeter in die Stadt gekommen, und er und Charlie waren hingegangen, um sich anzusehen, wie dieser Typ seine

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