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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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Nummer aufzog. Lyle hatte nur auf die Rollstühle geachtet, die der Heiler mitgebracht hatte und die sein Assistent großzügig all den gebrechlich aussehenden alten Leuten anbot, die angewackelt kamen – denselben Leuten, die »wunderbarerweise« wieder gehen konnten, sobald der Heiler seine Gebete über sie gesprochen hatte. Währenddessen hatte sein kleiner Bruder aufmerksam der Predigt zugehört.
    Lyle war nach Hause gegangen und hatte sich Notizen für die Zukunft gemacht, für die Zeit, in der er seine eigene kleine Gemeinschaft gründen würde.
    Charlie hatte während des Zeltgottesdienstes eine Bibel gekauft, war damit nach Hause gekommen und hatte sofort angefangen, darin zu lesen.
    Jetzt war er ein Wiedergeborener. Ein wahrer Gläubiger. Ein Langweiler.
    Sie waren immer gemeinsam durch die Bars gezogen, hatten gemeinsam Frauen aufgerissen und auch alles andere gemeinsam getan. Nun jedoch war das Einzige, das Charlie interessierte, in seiner Bibel zu lesen und »Zeugnis abzulegen«.
    Aber ganz gleich, was er tat oder nicht tat, Charlie war immer noch sein Bruder, und Lyle liebte ihn. Aber den alten Charlie mochte er viel lieber.
    »Wenn dieses Erdbeben Gottes Werk war und er uns damit gemeint hat, Charlie, dann hat er außer uns aber auch eine Menge anderer Leute durchgeschüttelt.«
    »Vielleicht haben außer uns viele Leute es nötig, durchgeschüttelt zu werden, yo.«
    »Das ist wohl so, Amen. Aber was war mit dem Schrei? Du musst mir rechtzeitig Bescheid sagen, wenn du eine neue Nummer durchziehen willst. Das zitternde Haus und die bebende Erde waren schlimm genug, aber dann bist du auch noch mit diesem Schrei gekommen, und alle rannten los wie die Wahnsinnigen.«
    »Ich hatte mit dem Schrei nichts zu tun«, sagte Charlie. »Der war absolut echt, Bruder.«
    »Echt?« In seinem Innern hatte Lyle das gewusst, aber er hatte gehofft, dass Charlie ihm etwas anderes sagen würde. »Wie echt?«
    »Echt insofern, als es nichts war, das ich inszeniert habe. Der Schrei kam nicht aus irgendwelchen Lautsprechern, Lyle. Er kam aus dem Haus.«
    »Ich weiß schon. Wahrscheinlich haben sich nur ein paar Balken während des Erdbebens verschoben, oder?«
    Charlie unterbrach seine Wanderung und starrte ihn an. »Willst du mich verscheißern? Willst du wirklich behaupten, dass es für dich klang wie alte Holzbalken? Mach dir lieber klar, dass es ein Schrei war. Ein menschlicher Schrei.«
    Genau so hatte es auch in Lyles Ohren geklungen, aber das konnte nicht möglich sein.
    »Nicht menschlich, Charlie, denn die einzigen Menschen außer uns waren unsere nicht eingeladenen Gäste, und die haben nicht geschrien. Also klang es nur menschlich, aber das war es nicht.«
    »Doch, das war es.« Charlie setzte seine Wanderung fort, diesmal jedoch um einiges schneller. »Es kam aus dem Keller.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich stand an der Tür, als es losging.«
    »Aus dem Keller?« Lyle spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken rieselte. Er hasste den Keller. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
    »Dazu war nicht genug Zeit. Wir hatten Gäste, weißt du noch?«
    »Sie sind schon eine Weile weg.«
    Charlie wandte den Blick ab. »Ich wusste, dass du nachschauen würdest.«
    »Verdammt richtig, das will ich auch.« Er wollte es nicht, nicht wirklich, aber er würde ganz bestimmt heute Nacht kein Auge zutun, wenn er nicht vorher nachsah. »Und möchtest du dich nicht endlich hinsetzen? Du machst mich verdammt nervös.«
    »Kann ich nicht. Ich bin viel zu aufgeregt. Spürst du es nicht, Lyle? Das Haus hat sich verändert, yo. Ich hab das bemerkt, als wir gestern nach dem Erdbeben wieder rein gingen. Ich kann es nicht erklären, aber es fühlt sich anders an … seltsam.«
    Lyle spürte es auch, wollte es aber nicht zugeben. Das wäre genauso, als würde er den übernatürlichen Quatsch glauben, den sie den Trotteln verkauften. Und das würde er niemals tun. Aber er musste zugeben, dass die Zimmerbeleuchtung nicht mehr ganz so hell wirkte wie vor dem Erdbeben. Oder waren die Schatten in den Ecken und Nischen dunkler geworden?
    »Wir hatten eine nervenaufreibende Woche, und du spürst lediglich die Nachwirkungen.«
    »Nein, Lyle. Es ist so, als wären nicht mehr nur wir in diesem Haus. Als wäre etwas anderes eingezogen.«
    »Wer? Beelzebub?«
    »Mach dich nicht über mich lustig. Du weißt, dass du es auch spürst, also mach mir nicht weis, dass es anders wäre.«
    »Ich fühle nichts.«
    Lyle hielt inne und schüttelte heftig

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